Das Post-COVID-Syndrom – Überblick über bio-psycho-soziale Erklärungsmodelle
Post COVID syndrome – overview of bio-psycho-social explanatory models
verfasst von: Alexa A. Kupferschmitt & Volker Köllner
Abstract
Zusammenfassung: Zu den häufigsten Symptomen des Post-COVID-Syndroms (PCS) gehören Fatigue, kognitive Störungen und Schmerzen. Diese anhaltenden Symptome beeinträchtigen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit im täglichen Leben. Obwohl es zahlreiche Forschungsanstrengungen zu Ursachen und Krankheitsmechanismen des PCS gibt, steht noch keine kurative medikamentöse Therapie zur Verfügung. Es sind bereits einige somatische Hypothesen zur Entstehung bekannt, es hat sich jedoch ein integratives Konzept, welches den Einfluss der Psyche auf chronische Körperbeschwerden berücksichtig, zur Erklärung des PCS-Verlaufs bestätigt. Darauf aufbauend haben sich rehabilitative, symptomorientierte Behandlungsprogramme, Bewegungstherapie und Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als hilfreich erwiesen. Dieser Artikel informiert zunächst über die Definition des PCS sowie den bisherigen Forschungsstand zu seiner Verursachung und zu Bedingungen der Chronifizierung. Vorgestellt werden auch die zentralen Empfehlungen der aktuellen S1-Leitlinie zum PCS. Abschließend werden Implikationen für die Psychotherapie diskutiert. Ein Glossar der medizinischen Fachbegriffe finden Sie am Ende des Artikels.
Summary: The most common symptoms of post-COVID-19 syndrome (PCS) include fatigue, cognitive impairment and pain. These persistent symptoms impair the ability to perform and function in daily life. Although there are numerous research efforts into the causes and disease mechanisms of PCS, no curative drug therapy is yet available. Some somatic hypotheses for the development of PCS are already known, but an integrative concept, which takes into account the influence of the psyche on chronic physical complaints, has been confirmed to explain the course of PCS. Based on this, rehabilitative, symptom-oriented treatment programs, exercise therapy and cognitive behavioral therapy (CBT) have proven to be helpful. This article first provides information on the definition of PCS and the current state of research on its causation and conditions of chronicity. The central recommendations of the current S1 guideline on PCS are also presented. Finally, implications for psychotherapy are discussed.
Einleitung
Während die COVID-Pandemie für die meisten von uns der Vergangenheit angehört, leidet eine erhebliche Anzahl an Menschen in Deutschland weiterhin an den Folgen. Bei der großen Mehrheit der akut mit COVID-19 Infizierten heilt die Krankheit zwar in den ersten vier Wochen nach der Infektion aus, trotzdem sind weltweit bis zu 400 Millionen Menschen von einem Post-COVID-Syndrom (PCS) betroffen (Al-Aly et al., 2024). Prävalenzschätzung zum PCS reichen von etwa fünf Prozent bis zehn Prozent der Infizierten (Augustin et al., 2021). Von diesen dürften wiederum circa zehn Prozent so stark betroffen sein, dass längere Krankschreibungszeiten resultieren, die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt ist oder sogar die Erwerbsfähigkeit gefährdet sein kann. Die Symptomatik bildet sich zwar im ersten Jahr der Erkrankung meist zurück, verläuft in vielen Fällen aber auch chronisch (Cai et al., 2024). Bei 50.000.000 Infizierten in Deutschland wären dies etwa 500.000 Menschen. Leider gibt es bisher keine genauen Prävalenzzahlen für Deutschland. Das PCS stellt für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie für die Gesellschaft insgesamt eine große Herausforderung dar, zu deren Bewältigung auch Psychotherapeut*innen beitragen können.
Definition
Die Weltgesundheitsorganisation definiert das Post-COVID-Syndrom (PCS) als „das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion, wobei diese Symptome mindestens zwei Monate lang anhalten, ohne dass es eine andere Erklärung dafür gibt“ (Yousaf et al., 2022). Die Symptome müssen zu relevanten Einschränkungen der Funktionsfähigkeit im Alltag führen. Obwohl COVID-19 ursprünglich als Atemwegserkrankung eingeordnet wurde, können die PCS-Symptome von leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schweren systemischen Erkrankungen reichen, wobei der Großteil der Patient*innen Symptome in mehreren Organsystemen aufweist (Brodin et al., 2022), weshalb nun vielmehr von einer Multisystemerkrankung gesprochen wird.
In Deutschland werden die Begriffe Long- und Post-COVID-Syndrom meist synonym benutzt, die S1-Leitlinie hat den Titel „Long/Post-Covid“. Die genaue Definition zeigt Abbildung 1: Symptome, die in den ersten vier Wochen nach einer akuten COVID-19-Erkrankung bestehen, werden dem Akutverlauf zugeordnet – tatsächlich ist die Mehrzahl der Betroffenen nach dieser Zeit symptomfrei. Bestehen die Symptome länger als vier Wochen, kann von Long-COVID gesprochen werden. Erst nach zwölf Wochen ist das Zeitkriterium des PCS erfüllt (international inzwischen auch häufig als Post-COVID-Condition bezeichnet). Tatsächlich ist in den ersten zwölf Wochen immer noch mit einer guten Spontanprognose zu rechnen, was einem prolongierten Akutverlauf entspricht. Persistieren die Symptome darüber hinaus, muss mit einem längeren Verlauf gerechnet werden. Daher ist das Zwölf-Wochen-Kriterium als sinnvoll anzusehen.
Abbildung 1: Unterscheidung Long- und Post-COVID-Syndrom (aus S1-Leitlinie)
Somatische Hypothesen zur Entstehung
Die COVID-19-Infektion befällt zwar primär die Atemwege als Eintrittspforte, ist aber eine Multisystemerkrankung. Der auf der Zelloberfläche befindliche ACE2-Rezeptor, der in den Zellen der meisten Organe des menschlichen Körpers häufig vorkommt, ist das Hauptziel für die Anbindung und Infektion von SARS-CoV-2 (Trougakos et al., 2021; Stratton et al. 2021). Unter anderem deshalb kann das Virus auch mit so vielen unterschiedlichen Gewebetypen in Wechselwirkungen treten und Schäden nahezu im gesamten Organismus auslösen.
Zur Pathogenese des PCS stellt die aktuelle S1-Leitlinie der AWMF (Koczulla et al., 2024) fest: „Die Pathogenese von PCS ist nicht geklärt und wahrscheinlich auch nicht bei jedem Patienten gleich. Deshalb existieren bislang auch weder ein Biomarker noch ein spezifisches diagnostisches Testverfahren. Mögliche Mechanismen sind nach Infektion oder COVID-19-Therapie persistierende Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen, eine metabolische Störung, eine chronische (Hyper-)Inflammation, eine Koagulopathie und/oder Autoimmunphänomene (Liang et al., 2022). Analoge post-infektiöse Syndrome sind im Zusammenhang mit anderen Infektionen durch Viren, Bakterien, Pilze und Protozoen seit gut 100 Jahren in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.“
Dies klingt angesichts der weltweit an vielen Zentren durchgeführten Forschungsprojekte und zahlreichen Pressemeldungen über die gerade jetzt entdeckte Ursache des PCS etwas ernüchternd. Angesichts der Komplexität des Forschungsfeldes ist aber leider wohl mehr Geduld notwendig. Die Lage ist vergleichbar mit der Erforschung des HIV-Virus, bei dem es ebenfalls Jahre bis Jahrzehnte dauerte, bis Pathomechanismen verstanden und hieraus wirksame Behandlungsstrategien abgeleitet werden konnten.
Tatsächlich gelang es in den letzten drei Jahren, vor allem immunologische Mechanismen der Entstehung und Aufrechterhaltung des PCS besser zu verstehen. PCS führte dazu, dass die Erforschung von Virusfolgeerkrankungen – die auch nach zahlreichen anderen Infektionen, wie etwa mit dem Epstein-Barr-Virus, auftreten – insgesamt einen massiven Schub bekommen hat. Aber die jeweils in der Presse verkündeten Forschungsergebnisse waren eben nicht „die“ Ursache des PCS, sondern eher einzelne Puzzleteile, die wichtig sind, um am Ende ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten – im Moment sehen wir jedoch noch mehr verhüllendes Tuch als Gesamtbild. Und es wird deutlich, dass zumindest bei einem erheblichen Teil der Betroffenen auch psychosoziale Puzzlestücke zum Gesamtbild gehören.
Mögliche Pathomechanismen beim Post-COVID-Syndrom sind in der Tabelle als Überblick zusammengefasst und einige der vielversprechendsten somatischen Hypothesen zur Pathogenese des PCS sollen im Folgenden vorgestellt werden:
Anhaltende Entzündungsreaktion
Es gibt Hinweise darauf, dass eine anhaltende Entzündung eine Schlüsselrolle in der Pathogenese der meisten PCS-Fälle spielt. Studien zeigen, dass deutlich erhöhte Konzentrationen des C-reaktiven Proteins (CRP) und des Interleukin-6 in einer hyperinflammatorischen Akutphase mit neurologischen Komplikationen in der Postinfektionshase, wie zentral abnormer neuromuskulärer Ermüdung sowie einer beeinträchtigten kognitiven Funktion, einhergehen (Ortelli et al., 2023). Im Rahmen des starken Anstiegs der zirkulierenden Zytokine, insbesondere des IL-6, das die Blut-Hirn-Schranke durchdringen kann, kann es zu einer Veränderung der neuronalen Funktion kommen; dies kann zu Komplikationen im Zentralnervensystem (ZNS) beitragen (z. B. Neurokognitive Störungen; Trougakos et al., 2021). Ferner wurde beobachtet, dass der kortikale GABA-Spiegel beim Post-COVID-Syndrom vermindert ist (Markinovic et al., 2023). Dies könnte die Grundlage für neuromotorische und kognitive Fatiguability darstellen sowie Fatigue und Einschränkungen in den exekutiven Funktionen erklären.
Direkte Auswirkungen des Virus auf das ZNS und das autonome Nervensystem
Aus mehreren Fallstudien geht hervor, dass beim Post-COVID-Syndrom eine autonome Dysfunktion eine relevante Folgeerscheinung zumindest für einen Teil der Betroffenen ist (Blitshteyn & Whitelaw, 2021; Dani et al., 2021; Novak et al., 2022). Die Konzentrationen von Proteinmarkern, die neuronale Dysfunktionen anzeigen, wie z. B. Amyloid-β, Neurofilamentleichtketten, Neurogranin, Gesamt-τ und pT181-τ, waren nach durchgemachter COVID-19 signifikant erhöht (Koumpa et al., 2020). Ferner ist bekannt, dass Coronaviren neurotrop wirken, die Blut-Hirn-Schranke überwinden und über periphere oder olfaktorische Neuronen in das ZNS gelangen können (Maltezou et al., 2020). Der Hippocampus scheint besonders anfällig für Infektionen zu sein, was auch zu den Gedächtnislücken nach der Infektion beitragen kann (Ritchie et al., 2020). Möglicherweise bewirkt eine entzündungsbedingte Beeinträchtigung des autonomen Nervensystems eine orthostatische Intoleranz oder verursacht Symptome des posturalen Tachykardiesyndroms (Dani et al., 2021; Spudich & Nath, 2022; Hassani et al., 2021). Die postinfektiöse Entzündungsreaktion scheint auch bei weiteren Symptomen des PCS eine Rolle zu spielen. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass bei PCS-Betroffenen das Virus weiter aktiv ist und zu fortschreitenden Zerstörungen im Gehirn führt. In diesem Fall müsste klinisch ein Crescendo-Verlauf zu beobachten sein, ähnlich wie z. B. bei BSE, wo die Prionen weiter virulent sind. Tatsächlich zeigen die meisten PCS-Betroffenen einen mehr oder weniger schnellen Rückgang der Symptomatik durch Selbstheilungsmechanismen. Bei stark chronifizierten Patient*innen kann es auch zu einem stabilen Verlauf ohne weitere Verbesserung kommen, progrediente Verschlechterungen werden aber – bis jetzt, fünf Jahre nach Beginn der Pandemie – nicht beobachtet.
Gefäßschädigung und aktivierte Gerinnung
Als ein weiterer wichtiger Pathomechanismus für Funktionsstörungen nach COVID-19 werden Endothelschäden (Endothel = innere Haut der Blutgefäße) und Thromboinflammation sowie eine Dysregulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (Cohen et al., 2021) gesehen. Endothelzellen kleiden die innerste Schicht der Blutgefäße aus und überwachen die Gesundheit der Mikro- und Makrogefäße, indem sie Pathogen-/Gefahrensignale wahrnehmen und vasoaktive Botenstoffe ausschütten. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass eine SARS-CoV-2-Infektion zu einer mehrfachen Dysfunktion des Endothels führt, u. a. zu einer verminderten Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid (NO), oxidativem Stress, Endothelschäden, einer Störung der Glykokalyx-Barriere, Hyperpermeabilität, Entzündung/Leukozytenadhäsion, Seneszenz, endothelial-to-mesenchymalem Übergang (EndoMT), Hyperkoagulabilität und Thrombose. Daher wird COVID-19 als eine (mikro)vaskuläre und endotheliale Erkrankung angesehen (Xu et al., 2023). Endothelschäden und gesteigerte Gerinnung können durch Mikrothrombenbildung zu zerebralen Mikro-Durchblutungsstörungen führen, die – ohne dass es zu makroskopisch sichtbaren Defekten kommt – die Gehirnfunktion beeinträchtigen und die Fatigue-Symptomatik sowohl von PCS als auch von ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) miterklären können (Haffke et al., 2022).
Autoimmunreaktion
Autoimmunmechanismen scheinen bei vielen Betroffenen eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der PCS-Symptomatik zu spielen. Hierfür spricht sowohl, dass Autoimmunkrankheiten einen Risikofaktor für die Entwicklung eines PCS nach der Infektion darstellen, als auch, dass das COVID-19-Virus mit seiner komplexen Oberflächenstruktur in besonderem Maße dazu in der Lage ist, Autoimmunreaktionen zu triggern. Studien konnten zeigen, dass bei einigen PCS-Betroffenen ein multisystem-inflammatorisches Syndrom vorliegt, das durch Symptome wie Fieber und erhöhte Entzündungsmarker (z. B. Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP), der Erythrozytensenkungsrate, des Fibrinogens, des Procalcitonin-Tests, des D-Dimers, des Ferritins, der Laktatdehydrogenase oder des IL-6, des Vorhandenseins einer Neutrophilie, einer Lymphopenie, eines verminderten Albuminwertes und einer Funktionsstörung mehrerer Organe) gekennzeichnet ist (Liu et al., 2021; Hosseini et al., 2022; Rodríguez et al., 2020; Tenforde & Morris, 2021). Eine SARS-CoV-2-Infektion kann das Immunsystem beeinträchtigen, was zu Veränderungen führt, die von einer abnormalen Zytokin- oder Chemokinproduktion und einer maladaptiven Immunantwort bis hin zu einer erhöhten Anzahl aktivierter Makrophagen, Monozyten und Neutrophiler sowie hyperaktivierter T-Zellen reichen (Rodríguez et al., 2020). Auffällig ist auch, dass vor allem jüngere Menschen, die ein aktiveres Immunsystem haben, eher zu schwereren PCS-Verläufen bis hin zum Vollbild eines ME/CFS mit überwiegender Bettlägerigkeit neigen. Rojas und Kollegen (2022) konnten bei 83 Prozent (bzw. 62 Prozent) der von ihnen untersuchten PCS-Patient*innen latente Autoimmunität (bzw. Polyautoimmunität) feststellen, wobei ca. sechs Prozent eine manifeste Autoimmunerkrankung entwickelten.
Es spricht vieles dafür, dass nicht alle der oben dargestellten Mechanismen bei allen Betroffenen gleichermaßen relevant sind. Es ist also gut möglich, dass es verschiedene Untergruppen des PCS gibt, die sich auch in den zugrunde liegenden Pathomechanismen unterscheiden. Dies würde auch die sehr ausgeprägte interindividuelle Varianz der Symptome und der Verläufe erklären.
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Pathophysiologische Elemente |
Pathomechanismus |
Quelle |
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direkte Viruseffekte |
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Virusrestepersistenz |
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Batiha et al., 2022; Buonsenso et al., 2022; Fajloun et al., 2022; Patterson et al., 2022 |
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Autoantikörper |
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Buonsenso et al., 2022b |
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Hyperinflammation |
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Buonsenso et al., 2022b; Castanares-Zapatero et al., 2022 |
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Reaktivierung anderer Viren |
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Renin-Angiotensin-System |
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Perlot & Penninger, 2013 |
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endotheliale Dysfunktion & Mikrothromben |
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Desai et al., 2022 |
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Mikrobiom |
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Su et al., 2022 |
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mitochondriale Dysfunktion |
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psychische Faktoren |
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Rudroff et al., 2020 |
Tabelle: Überblick über mögliche Pathomechanismen beim PCS (modifiziert nach Chatzikonstantinou, 2024)
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Pathophysiologische Elemente |
Pathomechanismus |
Quelle |
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direkte Viruseffekte |
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Virusrestepersistenz |
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Batiha et al., 2022; Buonsenso et al., 2022; Fajloun et al., 2022; Patterson et al., 2022 |
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Autoantikörper |
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Buonsenso et al., 2022b |
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Hyperinflammation |
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Buonsenso et al., 2022b; Castanares-Zapatero et al., 2022 |
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Reaktivierung anderer Viren |
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Renin-Angiotensin-System |
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Perlot & Penninger, 2013 |
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endotheliale Dysfunktion & Mikrothromben |
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Desai et al., 2022 |
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Mikrobiom |
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Su et al., 2022 |
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mitochondriale Dysfunktion |
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psychische Faktoren |
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Rudroff et al., 2020 |
Tabelle: Überblick über mögliche Pathomechanismen beim PCS (modifiziert nach Chatzikonstantinou, 2024)
Doch alles Psycho?
Trotz aller Forschungsbemühungen auf somatischem Gebiet gibt es bisher keine schlüssige Theorie zur Entstehung des PCS, ebenso wenig gibt es verlässliche Biomarker oder einen PCS-Labortest. Auch für somatische Therapieverfahren, wie z. B. Immunapharese, hyperbare Sauerstofftherapie oder Medikamente gab es bisher keinen Wirksamkeitsnachweis. Zuletzt zeigte eine mit vielen Hoffnungen verbundene randomisierte Studie, dass das Medikament BC007[1]BC 007 ist ein Wirkstoff und experimenteller Arzneistoff aus der Gruppe der Einzelstrang-DNA-Aptamere mit der Fähigkeit zur Neutralisierung bestimmter pathogener Autoantikörper. Placebo nicht überlegen ist. Dies mag zu der Annahme verleiten, dass somatische Hypothesen zur PCS-Entstehung in eine Sackgasse führen und die Symptomatik doch überwiegend psychisch verursacht ist.
Vor dieser Schlussfolgerung möchten wir ausdrücklich warnen! Zum einen sprechen die zahlreichen und komplexen oben dargestellten Befunde insgesamt deutlich für das Vorliegen einer somatischen Pathologie, auch wenn diese bisher noch nicht vollständig entschlüsselt werden konnte. So zeigte sich z. B., dass die kognitiven Störungen beim PCS weitgehend unabhängig von einer depressiven Symptomatik bestehen und sich entwickeln (Kupferschmitt et al., 2023b; Morawa et al., 2023). Zum anderen ist es durchaus wahrscheinlich und im Interesse der Betroffenen zu wünschen, dass in Kürze doch eine wirksame somatische Therapie zumindest für eine Subgruppe der PCS-Betroffenen gefunden wird. Leider hat sich die Debatte um die Ursachen des PCS – vergleichbar zur Debatte um ME/CFS – emotional sehr aufgeheizt und zeitweise auf die falsche Alternative „psychisch oder somatisch verursacht?“ zugespitzt, was psychotherapeutische Ansätze zumindest zeitweise bei einem Teil der Betroffenen und ihrer Selbsthilfeorganisationen diskreditiert hat. Längst überwunden geglaubtes dualistisches Denken kehrte in der PCS-Debatte mit teilweise erschreckender Wucht zurück. Zum Glück hat sich die Debatte inzwischen wieder versachlicht, wozu in Deutschland auch der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach initiierte und persönlich moderierte Runde Tisch, an dem alle relevanten Expert*innen, Fachgesellschaften und Selbsthilfeorganisationen beteiligt waren, beigetragen hat.
Als zukunftsweisend erweist sich zunehmend ein integratives Verständnis von Entstehung und Aufrechterhaltung des PCS. Paradigmatisch ist hier die Entwicklung der Psychokardiologie (Kindermann et al., 2024), wo die Datenlage über psychische Risikofaktoren für die Entstehung und den Verlauf von Herzerkrankungen und deren Einfluss auf die Psyche zu zahlreichen kooperativen Behandlungskonzepten zwischen Kardiologie, Psychosomatik und Psychotherapie geführt haben.
Ein integratives Konzept zur Erklärung des PCS-Verlaufs
Es gibt inzwischen sowohl gute Belege für somatische Auslösemechanismen der PCS-Symptomatik als auch für psychosoziale Faktoren, die eher geeignet sind, deren Aufrechterhaltung zu erklären. Eine Verbindung stellen psycho-neuro-immunologische Mechanismen dar. Ein solches Modell ist in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: Bio-psycho-soziales Modell der Aufrechterhaltung der PCS-Symptomatik nach Henningsen & Köllner, 2023
Als somatische Hypothesen („black box“) werden hierbei insbesondere folgende diskutiert:
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Chronische Entzündung und Autoimmunität,
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Viruspersistenz und dadurch andauernde Stimulation/Alarmbereitschaft des Immunsystems,
-
Beeinträchtigung der Funktion von Endothelien und Neigung zu Blutgerinnseln.
Diese sind zurzeit noch zu wenig erforscht, um hieraus sinnvolle therapeutische Strategien ableiten zu können. Erfahrungen mit anderen Krankheitsbildern (z. B. Fibromyalgiesyndrom) zeigen allerdings, dass es keineswegs sicher ist, ob es in absehbarer Zeit eine somatische/medikamentöse Heilungsmöglichkeit geben wird.
Neben den somatischen Mechanismen spielen psychische und Kontextfaktoren, wie die Erwartungen des Umfeldes, die eigene Leistungserwartung und das vorherige Leistungsniveau eine wesentliche Rolle, die zu einem dysfunktionalen Modus der Krankheitsverarbeitung führen können. Im Bereich der Schmerzchronifizierung ist z. B. das Avoidance/Endurance-Konzept empirisch gut belegt (Hasenbring & Verbunt, 2010). Hieraus lassen sich auch für das PCS effektive (Be)Handlungsmöglichkeiten ableiten. Lag prämorbid ein hohes Leistungsniveau mit entsprechender Verausgabungsbereitschaft vor, so führt die Post-COVID assoziierte Leistungsminderung aufgrund der eigenen Erwartungshaltung zu Selbstüberforderung mit wiederholten Frustrationserfahrungen. Folgen sind Frustration, depressive Verstimmung und ein erhöhtes Anspannungsniveau, was sich wiederum aktivierend auf das Immunsystem auswirkt und die Post-COVID-Symptomatik verstärken kann. Gleichsam führen wiederholte Selbstüberforderungen zu Vermeidungsverhalten mit Folgen der Dekonditionierung und Verstärkung von körperlicher Fatigue und Dyspnoe. Diese können wiederum (Versagens-)Ängste auslösen, die über die bei Angsterkrankungen typische Hyperventilationsneigung Dyspnoe verstärken und über ein erhöhtes Arousal Schmerzen mit bedingen. Inzwischen belegen erste Daten auch die Relevanz des Avoidance/Endurance-Konzepts beim PCS. Im Gegensatz zum chronischen Schmerz überwiegen hier jedoch zahlenmäßig Betroffene mit Durchhaltemuster, während Vermeidung den Verlauf ungünstiger zu beeinflussen scheint (Kupferschmitt et al., 2025).
Weitere wesentliche psychische Risikofaktoren sind vorbestehende psychische Erkrankungen (z. B. Depression, Angst), bereits vor der Infektion bestehende ausgeprägte Erschöpfung, Einsamkeit sowie individuelle Krankheitstheorien (Wang et al., 2022). Als soziale bzw. Kontextfaktoren sind eine sozioökonomische Unsicherheit sowie unzureichende soziale Unterstützung zu benennen (beides stressverstärkend). Die große Bedeutung von Depressivität und Angst als Komorbidität und Prädiktor eines PCS zeigte sich aktuell in einer Metaanalyse von Engelmann et al. (2024) über 113 Studien mit 312.831 eingeschlossenen Betroffenen.
Eine weitere wichtige Theorie, die einen Beitrag zur Chronifizierung der PCS-Symptomatik beitragen kann, ist das Konzept der Erwartungsverletzung (Predictive Coding). Bei unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Störungsbildern (u. a. Depression, somatoforme Störungen) wird zur Erklärung der Symptomatik zunehmend eine neuro-physiologische Theorie diskutiert, die auf ursprünglichen Annahmen von Helmholtz (Gehirn als Energiespar- und Vorhersage-Maschine) zurückgeht und unter dem Begriff Predictive Coding oder Predictive Processing bekannt wurde (Henningsen et al., 2018; Schauenburg, 2023).
Schauenburg (2023) beschreibt dieses Konzept für Erschöpfung und Fatigue wie folgt: „Im Kern stellt das Modell unsere traditionelle Annahme auf den Kopf, dass wir unser Erleben aus sensorischen oder kognitiven (bottom up) Basiserfahrungen generieren. Vielmehr ist es so, dass das menschliche Gehirn ständig unbewusst eigene sensorische Wahrnehmungen mit inneren Vorannahmen (sog. Priors) abgleicht. Entsprechen diese einander, kommt es eher zu automatisierten Verhaltens- und Erlebensabläufen. In diesem Sinn dienen die Vorannahmen der Energieersparnis. In der Wirklichkeit entsprechen die Wahrnehmungen meist in entscheidenden Bereichen nicht den A-priori-Erwartungen. Hieraus resultieren Vorhersagefehler (Prediction Errors), die insofern für unser Verhalten wichtig sind, als unser Gehirn immer danach strebt, diese Vorhersagefehler durch Anpassung unseres Handelns zu verkleinern, um Energie zu sparen. Ein Weg zur Reduzierung von Vorhersagefehlern wird aktive Schlussbildung (Active Inference) genannt: Wir versuchen, über eine (hier unbewusste) Modifizierung unserer Wahrnehmungssensorik, also z. B. eine Anpassung unseres Vegetativums (vgl. Konzept des Allostatic Load), aber auch über eine Veränderung unserer generischen Modelle (z. B. dem Konzept Müdigkeit, s. u.) die erlebten Vorhersagefehler zu reduzieren, um so Energie zu sparen bzw. Überraschung zu mindern. Ein Beispiel hierfür ist, dass wir in Tests unvollständig abgebildete Buchstaben oder Worte automatisch innerlich vervollständigen. Eine gefundene Gesetzmäßigkeit ist dabei, dass, je diffuser und unsicherer sensorische Signale sind, umso näher rückt ihre Wahrnehmung im Sinne der Active Inference an die hierarchisch höher liegende A-priori-Modellbildung heran (wir sehen, was wir sehen möchten). Je bedrohlicher Signale wahrgenommen werden, desto stärker wird auf diese fokussiert (sensorische Amplifikation) und desto schwerer können sie ausgeblendet werden. Beim Phänomen der psychophysischen Erschöpfung handelt es sich auch um ein generisches Modell. Im Grunde kann man Erschöpfung als eine komplexe Emotion sehen, die im Angesicht von Impulsen mit antizipiert zu geringer Erfolgswahrscheinlichkeit auftritt (also ein zusätzlicher Energiesparmechanismus).“
Übertragen auf die Fatigue-Symptomatik beim PCS wäre deren Ausgangspunkt die bei der akuten COVID-19-Infektion häufig intensiv und protrahiert verlaufende und immunologisch determinierte sinnvolle postinfektiöse Erschöpfungssymptomatik. Ausgeprägte Symptome sind auch in den ersten zwölf Wochen nach der Akutinfektion nicht ungewöhnlich. Gerade Betroffene mit einer hohen Leistungsanforderung an sich selbst (Endurance-Muster), die zuvor eine hohe Funktionalität und/oder körperliche Fitness hatten, stehen nun vor der Aufgabe, diese Erfahrung in ihr Selbstbild zu integrieren. Vergleiche mit vorhergehenden Infektionen („sowas habe ich immer locker weggesteckt“) und mit Personen in ihrem Umfeld, die einen schnelleren Genesungsverlauf hatten, führen hier zu Vorhersagefehlern im Sinne der oben dargestellten Theorie. Zur Reduktion dieser Vorhersagefehler muss nun das Selbstbild modifiziert werden, wobei es sich hierbei um einen unbewussten, willentlich nicht steuerbaren Prozess handelt. Erschöpfung und andere Symptome werden nun als Anzeichen einer schweren somatischen Schädigung durch das Virus interpretiert und somit zur neuen Normalität. Schonung wird als einzige wirkliche Handlungsoption angesehen und gibt ein Minimum an Kontrollgefühl zurück. Gleichzeitig verhindert prophylaktische Schonung die Konfrontation mit den die Vorhersagefehler auslösenden Hinweisreizen. Problematisch ist, dass Ruhe und Schonung hier nur kurzfristig Entlastung bringen, langfristig aber korrigierende Erfahrungen und ein langsames Auftrainieren verhindern. Hierbei ist zu beachten, dass das subjektive Erschöpfungserleben stark vom Verhältnis zwischen durch Laktatmessung objektivierbarer muskulärer Schwäche und dem Selbstwirksamkeitserleben in der jeweiligen Situation abhängt. Ein ausgeprägtes Gefühl der Erschöpfung kann auch schon bei objektiv niedriger muskulärer Ermüdung auftreten, wenn das subjektive Wirksamkeitserleben entsprechend niedrig ist (Greenhouse-Tucknott et al., 2022). Mit diesem Konzept ließen sich Beobachtungen erklären, warum berufliche „high performance“, Selbstüberforderung und dysfunktionale Durchhaltemuster bei PCS-Betroffenen z. B. häufiger anzutreffen sind als bei chronischen Schmerzpatient*innen (Kupferschmitt et al., 2025). Für die Therapie bedeutet dies, dass es zunächst wichtig ist, die Therapeut*in-Patient*in-Beziehung zu stärken und die Betroffenen auf eine akzeptierende Weise bei ihrem subjektiven Erleben und ihrer Krankheitstheorie abzuholen. Psychoedukation und das Pacing-Konzept (s. u.) sind hierbei hilfreich – ebenso wie eine professionelle und mit dem PCS erfahrene Begleitung eines langsamen und behutsamen Auftrainierens. Nicht selten neigen die Betroffenen dazu, sich entsprechend ihres ursprünglichen Selbstkonzepts selbst zu überfordern und kleine Fortschritte abzuwerten, anstatt sie zu würdigen. Daher ist es in der Bewegungstherapie erforderlich, eher bremsend und in Richtung Selbstwahrnehmung und -akzeptanz einzuwirken. Auch kleine Fortschritte sollten unterstützt und jeder Rückfall (v. a. bei PEM) verhaltensanalytisch aufbereitet und als Lernerfahrung genutzt werden (Kleinschmidt et al., 2025).
Für das multifaktorielle Bedingungsmodell des PCS sprechen auch die Ergebnisse der PoCoRe-Multicenter-Studie (Kupferschmitt et al., 2022), dass sich das Symptomspektrum der Patient*innen zwischen den einzelnen Rehabilitationsindikationen (v. a. Neurologie, Pneumologie und Psychosomatik) eher überschneidet als unterscheidet und dass auch bei Patient*innen der somatischen Reha-Indikationen ein hohes Maß an psychischer Belastung nachweisbar ist. Dies bedeutet auch, dass es für die erfolgreiche Rehabilitation von Post-COVID-Patient*innen eines multimodalen Behandlungsangebotes bedarf, wie es auch im Eckpunktepapier der DRV BUND (2023) gefordert wird. Dies bedeutet, dass der psychotherapeutischen Mitbetreuung in dieser Patientengruppe eine besondere Bedeutung zukommt.
Die Bedeutung psychischer Risikofaktoren im Vorfeld der Infektion und im weiteren Verlauf ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt, was eine sorgfältige Differenzialdiagnostik auch auf diesem Gebiet erforderlich macht.
(Differenzial-)Diagnostik
Das Post-COVID-Syndrom stellt definitionsgemäß eine Ausschlussdiagnose dar. Bisher gibt es weder einen Labortest noch eine bildgebende Methodik, mit der sich die Diagnose sichern lässt. Allerdings stehen mit einer differenzierten neuropsychologischen Testung oder der wiederholten Handkraftmessung durchaus diagnostische Methoden zur Verfügung, um zumindest einen Teil der Symptomatik zu objektivieren (Koczulla et al., 2024).
Die Kernsymptome des Post-COVID-Syndroms, wie Fatigue, Konzentrationsstörungen und chronische Schmerzen, gehören zu den häufigsten Symptomen überhaupt – sie sind nicht spezifisch für das PCS. Eine besondere Herausforderung in der Differenzialdiagnostik ist es in diesem Zusammenhang, dass angesichts der starken Präsenz in den Medien nicht wenige Patient*innen dazu neigen, ihre Symptome auf das Post-COVID-Syndrom zu attribuieren. Es müssen bei diesen Beschwerden aber immer auch andere somatische (z. B. Anämie, Hypothyreose, OSAS) oder psychische (z. B. Depression, somatische Belastungsstörung) Ursachen der Symptomatik abgeklärt werden.
Bei der Diagnostik zu Therapiebeginn ist es wichtig, möglichst frühzeitig die Art der Krankheitsverarbeitung zu erfassen, denn von dieser hängt sehr stark die individuelle Ausrichtung des Behandlungskonzepts ab. Patient*innen, die zur Selbstüberforderung neigen, müssen eher lernen, frühzeitig auf ihre Grenzen zu achten und sorgsam mit ihrem Energiebudget umzugehen, während diejenigen, die eher zu ängstlichem Vermeidungsverhalten neigen, zu mehr Bewegung und Aktivität im Rahmen ihrer Grenzen ermuntert werden sollten. Ebenso wichtig ist es, die psychische Komorbidität zu erfassen. Je nach Setting haben bis zu Dreiviertel der Betroffenen eine psychische Komorbidität (Engelmann et al., 2024). Beim Einsatz von Fragebögen (z. B. BDI-II, PHQ-9) ist zu beachten, dass sich durch eine Überschneidung der Symptome von Fatigue und Depression (z. B. Müdigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen) falsch hohe Werte ergeben können. Zusammenfassend lassen sich folgende Konstellationen als Ergebnis der psychotherapeutischen Diagnostik finden:
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Es liegt kein PCS im engeren Sinne vor, sondern Symptome einer bereits vor der Infektion bestehenden psychischen/psychosomatischen Erkrankung werden hierauf attribuiert.
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Eine vorbestehende psychische Erkrankung ist als Risikofaktor für die Entstehung des PCS anzusehen und beeinflusst dessen Verlauf negativ.
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Es bestand keine psychosoziale Problematik oder Erkrankung vor der Infektion, eine in der Folge aufgetretene Depression oder Angstproblematik oder ungünstige Coping-Mechanismen wirken aber aufrechterhaltend und chronifizierend auf die PCS-Symptomatik und beeinflussen auch wesentlich die Erwerbsfähigkeit.
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Psychische Faktoren spielen weder bei der Entstehung noch bei der Aufrechterhaltung der PCS-Symptomatik eine wesentliche Rolle.
In unserer Klinik sind die Konstellationen 1 und 4 so gut wie nicht vorhanden. In unserem spezifischen Post-COVID-Setting finden sich ungefähr hälftig Betroffene, die angeben, sich bereits vor der COVID-19-Erkrankung erschöpft gefühlt zu haben („Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“) oder Betroffene, die aus vollem Wohlbefinden und guter Leistungsfähigkeit heraus erkrankt sind („Blitz aus heiterem Himmel.“). Die niedrigen Prävalenzen der Gruppen 1 und 4 können natürlich ein Selektionseffekt des Settings einer psychosomatischen Klinik sein, besonders, was Gruppe 4 (psychosomatisch unauffällig) betrifft. Dafür, dass Gruppe 1 auch insgesamt eher klein ist, spricht unsere Beobachtung, dass wir häufiger ein PCS bei Patient*innen finden, die mit einer anderen Zuweisungsdiagnose kommen, als dass wir eine initiale PCS-Diagnose durch unsere Diagnostik revidieren müssen. Weitere Forschung zur Prävalenz der unterschiedlichen Schweregrade des PCS und der psychischen Komorbidität ist dringend erforderlich.
Therapeutische Aspekte
Nach einem Ende 2024 im British Medical Journal erschienen systematischen Review (Zeraatkar et al., 2024) gibt es inzwischen drei evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten, die die Symptomatik des PCS verbessern können:
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Kognitive Verhaltenstherapie,
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Intermittierendes Ausdauertraining und
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Multimodale Rehabilitation („physical and mental health rehabilitation).
Keine Evidenz fand sich bisher für medikamentöse Behandlungsansätze einschließlich Nahrungsergänzungsmittel oder Verfahren wie die hyperbare Sauerstofftherapie oder die Apharese. Allerdings wird sowohl an der Entwicklung neuer Medikamente wie auch an der Identifikation bestimmter PCS-Subgruppen, die vielleicht doch z. B. von speziellen Formen der Apharese profitieren können, weiter geforscht. Es besteht also für die Betroffenen berechtigte Hoffnung, dass in den nächsten Jahren weitere wirksame Behandlungsmöglichkeiten hinzukommen. Der in der Öffentlichkeit aufgrund der Fixierung auf medikamentöse Behandlungsansätze manchmal bestehende Eindruck, dass es aktuell noch keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten des PCS gäbe, ist aber falsch. Schon 2023 konnten Kuut et al. (2023) den Effekt störungsspezifischer ambulanter kognitiver Verhaltenstherapie auf die Fatigue-Symptomatik bei PCS in einer kontrollierten randomisierten Studie nachweisen. Im gleichen Jahr wurden erste Hinweise auf den Effekt kognitiver Verhaltenstherapie in der multimodalen Rehabilitation publiziert (Kupferschmitt et al., 2023a); auf diesen Ergebnissen aufbauend, ist inzwischen ein auch in der ambulanten Therapie einsetzbares Manual erschienen (Kupferschmitt & Köllner, 2025). Gerade für weitgehend immobilisierte schwer Betroffene ist auch Online-Therapie eine hilfreiche Alternative, die zunehmend erforscht wird (Zimmermann-Schlegel et al., 2024). Vom theoretischen Ansatz her ist sicher auch die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT; Benoy et al., 2023) ein geeigneter Ansatz, um Betroffene gerade bei der Akzeptanz längerfristig oder gar dauerhaft bestehender Einschränkungen zu unterstützen, allerdings gibt es hierzu noch keine Studien. Wie auch im Bereich chronischer Schmerzen erweisen sich integrierte Ansätze aus Verhaltens- und Bewegungstherapie als sinnvoll (Kleinschmidt et al., 2025), wie sie insbesondere in der Rehabilitation gut umgesetzt werden können – im ambulanten Bereich bedarf es hier zusätzlicher spezifischer bewegungstherapeutischer Angebote (z. B. Barz et al., 2024). Eine Übersicht über den derzeitigen Forschungsstand findet sich u. a. bei Schurr et al. (2025).
Fazit: das PCS – eine Bewährungsprobe für das bio-psycho-soziale Modell
Das Post-COVID-Syndrom stellt nicht nur eine Bewährungsprobe für unser Gesundheitssystem dar, sondern stellt auch das bio-psycho-soziale Verständnis von Krankheit und Gesundheit auf die Probe. In der öffentlichen Debatte wird nicht selten davor gewarnt, das Krankheitsbild zu „psychologisieren“. Dieser Vorwurf trifft aber nur zu aus der Sicht eines reduktionistischen Krankheitsverständnisses, bei dem es entweder somatisch oder psychisch verursachte Krankheitsbilder gibt, die dann entweder nur von Spezialisten für den Körper oder jenen für die Seele zu behandeln sind. In einem bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnis, das sich bei vielen anderen Krankheitsbildern sehr bewährt hat – paradigmatisch sei hier die Psychokardiologie erwähnt (Kindermann et al., 2024) tragen psychologische, biologische und soziale Faktoren gemeinsam zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten bei. Immer mehr Befunde zeigen, dass dies auch beim Post-COVID-Syndrom der Fall ist (Henningsen & Köllner, 2023; Gómez Bravo et al., 2025) und hieraus ergeben sich neue – gerade auch psychotherapeutische – Handlungsmöglichkeiten zum Wohle der Betroffenen. Psychotherapie kann das PCS nicht heilen, aber sie kann Kernsymptome wie Fatigue signifikant reduzieren, komorbide Depression und Angst behandeln, wirksam bei der Krankheitsverarbeitung unterstützen und Aktivität und Teilhabe verbessern.
Glossar
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Glossar medizinischer Fachbegriffe |
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ACE2/ACE2-Rezeptor |
Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (Angiotensin-converting enzyme 2, ACE2), ein Transmembranprotein, das u. a. in Herz und Lunge vorkommt und von Coronaviren als Andockstelle genutzt wird, um in die Zelle zu gelangen; ACE2 spielt eine wichtige Rolle im kardiovaskulären, v. a. Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (s. u.). |
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Adhäsion |
Aneinanderhaften |
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Albumin, verminderter Albuminwert |
Plasmaprotein, das im Blut als Transport- und Pufferprotein fungiert und dafür sorgt, dass keine Flüssigkeit aus den Blutgefäßen in das umliegende Gewebe austritt. Ist der Wert ggü. dem Normalwert vermindert, befindet sich zu wenig Albumin im Blut, es können Ödeme und andere Erkrankungen entstehen. |
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Amyloid-β |
Proteinmarker (s. u.) |
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Anämie |
Blutarmut, verminderte Hämoglobin-Konzentration im Blut, die zu Sauerstoffmangel führt |
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Apharese, Immunapharese |
Blutwäsche; bei der Immunapherese werden bestimmte Antikörper aus dem Blut entfernt. |
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BSE |
Bovine spongiforme Enzephalopathie („Rinderwahn“), Tierseuche; tödliche Erkrankung des Gehirns (schwammartige Veränderung, ausgelöst durch Prionen (s. u.)) |
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Chemokine / Chemokinproduktion |
Chemokine sind eine Gruppe von Signalproteinen und gehören zur Gruppe der Zytokine (s. u.); locken Effektorzellen zu den Infektionsherden und sorgen dafür, dass Abwehrzellen durch Gefäßwände in das beschädigte Gewebe eindringen können |
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Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) |
siehe Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) |
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Covid-19 |
die infolge einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auftretende Infektionskrankheit, bei der primär die Atemwege und die Lunge befallen sind |
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C-reaktives Protein (CRP) |
Plasmaprotein, das in der akuten Phase von Entzündungen und Infektionen erhöht ist |
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D-Dimere |
Abbauprodukte eines Blutgerinnsels, die im Blut gemessen werden können; erhöhte D-Dimere können auf Thrombosen, Lungenembolien oder andere Erkrankungen hinweisen |
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Endothel, Endothelien |
dünne Zellschicht, die das Innere (Lumen) von Blutgefäßen auskleidet; dient u. a. als Barriere zum Gewebe |
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Endothelial to Mesenchymal Transition (EndMT) |
EndMT ist ein Vorgang, bei dem sich bestimmte Zellen im Körper verändern. Endothelzellen, die normalerweise Blutgefäße auskleiden, verwandeln sich in mesenchymale Zellen, die ganz andere Aufgaben haben – z. B. können sie sich bewegen, wachsen und neue Gewebe bilden. |
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Erythrozyten |
rote Blutkörperchen; transportieren Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid |
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Ferritin |
Proteinkomplex, „Depot-Eisen“ |
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Fibrinogen |
Protein, das eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung spielt; auch als Entzündungsparameter zu interpretieren |
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Fibromyalgiesyndrom |
Syndrom aus Schmerzen in verschiedenen Körperregionen, Schlafstörungen und vermehrter Erschöpfung; vorrangig eine Störung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, keine entzündliche Erkrankung |
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GABA |
Gamma-Aminobuttersäure (englisch: Gamma Amino butyric Acid), bedeutender Neurotransmitter im zentralen Nervensystem; seine Hauptfunktion besteht in der Ausübung einer inhibitorischen, also hemmenden, beruhigenden Wirkung |
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Gesamt-τ und pT181-τ |
Gesamt-τ: zeigt, wie viel von dem τ-Protein insgesamt vorhanden ist – Hinweis auf Nervenzellschaden; pT181-τ: eine veränderte (krankhafte) Form von τ – Hinweis speziell auf Alzheimer. |
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Glykokalyx, Glykolalyx-Barriere |
Schicht an der Außenfläche der Zellmembran |
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hyperbar / hyperbare Sauerstofftherapie |
erhöhter Druck / Behandlungsmethode, bei der unter einem erhöhten Umgebungsdruck medizinisch reiner Sauerstoff eingeatmet wird (Druckkammertherapie) |
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Hyperinflammation |
s. Inflammation |
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Hyperkoagulabilität |
erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes, die zu Thrombenbildungen führen kann |
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Hyperpermeabilität |
erhöhte (Darm)Durchlässigkeit |
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Hypothyreose |
Schildrüsenunterfunktion; zahlreiche Stoffwechselfunktionen des Körpers laufen langsamer ab als normal, die Folgen sind geringere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. |
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Inflammation |
Entzündung; eine körpereigene Reaktion auf schädliche Reize, die sich durch Rötung, Schwellung, Überwärmung, Schmerz und funktionelle Einschränkung äußert |
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Interleukin-6 |
ein Botenstoff und Entzündungsmediator, der bei akuten Infektionen und Gewebsschädigungen ansteigt (Interleukine regulieren die Entzündungsreaktion des Organismus) |
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Koagulation |
Blutgerinnung |
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Koagulopathie |
Gerinnungsstörung / Störung der Blutgerinnung, verursacht durch einen Mangel oder eine Störung der Gerinnungsfaktoren |
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kortikal |
die Hirnrinde (Kortex) betreffend |
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Laktatdehydrogenase |
Enzym, das an der Milchsäuregärung beteiligt ist, wodurch Zellen Energie aus Blutzucker gewinnen, ohne dass sie dafür Sauerstoff benötigen; wird als Laborparameter zur Erkennung von Zellschädigungen genutzt. |
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Leukozytenadhäsion(sdefekt) |
Immundefekt; Störungen der Leukozytenadhäsion führen zu erhöhter (bakterieller) Infektanfälligkeit |
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Lymphopenie |
Mangel an Lymphozyten (Immunzellen) im Blut, der das Immunsystem schwächt und Infektionen begünstigt |
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Makrogefäß |
großes Blutgefäß |
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Makrophagen |
weiße Blutkörperchen aus der Gruppe der Fresszellen, die Viren, Bakterien und Toxine im Körper fressen und zerstören |
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Mikrogefäß |
kleinste Blutgefäße mit einem Durchmesser kleiner als 100 Mikrometer |
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Monozyten |
im Blut zirkulierende Zellen des Immunsystems |
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ME/CFS Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrome |
Beim Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) handelt es sich um eine komplexe, meist durch Infektionen ausgelöste Erkrankung, deren Ursachen nicht vollständig geklärt sind. Das Hauptsymptom von CFS ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz mit Symptomverschlechterung oft bereits nach minimalen Anstrengungen (s. PEM). Die Erkrankung wird aufgrund der begleitenden Funktionsstörungen des autonomen und des zentralen Nervensystems als neurologische Erkrankung geführt. Ein endgültiger Beweis dafür, dass die Ursache in einer Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) liegt, ist jedoch noch nicht erbracht, insofern ist das „ME“ in der Bezeichnung nicht unproblematisch. |
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Neurofilamentleichtketten |
sind sowohl im Liquor als auch im Blut nachweisbar und können als ein Indikator für neuronale Schäden dienen |
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Neurogranin |
ein postsynaptisches Protein, das hauptsächlich in Cortex und Hippocampus vorkommt und als Biomarker/Proteinmarker (s. u.) interpretiert werden kann |
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neurotrop |
die Nerven oder das Nervengewebe beeinflussend |
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Neutrophilie; Neutrophile |
Neutrophilie ist eine erhöhte Zahl von neutrophilen Granulozyten (kurz: Neutrophile; weiße Blutkörperchen, die Krankheitserreger bekämpfen) im Blut, die oft auf Entzündungen oder Infektionen hinweist. |
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orthostatisch / orthostatische Intoleranz |
die aufrechte Körperhaltung betreffend / Störungen des autonomen Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems, bei denen als Leitsymptom aufrechte Körperpositionen wie Sitzen oder Stehen nur eingeschränkt oder gar nicht toleriert werden (Schwindel, Herzrasen, Übelkeit, Benommenheit u. a.) |
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OSAS |
Obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom; Atemstörung, bei der im Schlaf die Atmung aussetzt oder behindert ist |
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PEM |
Post Exertionale Malaise (PEM) ist ein häufiges Symptom der Myalgischen Enzephalomyelitis bzw. des Chronischen Fatigue-Syndroms (ME/CFS) und kann in schweren Fällen auch bei Patient*innen mit PCS auftreten. PEM beschreibt eine schwere Belastungsintoleranz. Symptome treten in der Regel nach körperlicher oder geistiger Anstrengung auf und können Tage oder in seltenen Fällen sogar Wochen anhalten. Die Symptome umfassen schwerwiegende Erschöpfung, Schmerzen, kognitive Beeinträchtigungen, Schwindel, Übelkeit und Schlafstörungen. |
|
postural / posturales Tachykardiesyndrom |
die Körperhaltung betreffend / Erkrankung, bei der die Patient*innen beim Aufstehen bzw. Wechsel in die aufrechte Körperlage (Orthostase) an Herzrasen, Benommenheit, Schwindel leiden; entsteht häufig nach Virusinfektionen |
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Prionen |
abnormale Proteine, proteinartige infektiöse Partikel, die übertragbare schwammartige Hirnerkrankungen verursachen |
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Procalcitonin / Procalcitonin-Tests |
ein Enzündungsparameter; Procalcitonin (PCT) heißt die Vorstufe eines körpereigenen Schilddrüsenhormons, die normalerweise kaum oder gar nicht im Blut nachweisbar ist – kommt es zu einer Entzündung, steigt die PCT-Menge im Blut plötzlich an. |
|
Proteinmarker |
spezielle Proteine, die in Zellen und Geweben vorkommen und bestimmte Bedingungen oder Eigenschaften dieser Zellen anzeigen können; sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Diagnose von Krankheiten und der Bestimmung von Behandlungsoptionen |
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protrahiert |
verlängert, verzögert (z. B. Krankheitsverlauf) |
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Sars-CoV-2 |
Bezeichnung des 2019 neu identifizierten Coronavirus. Der Name zeigt die enge Verwandtschaft mit dem Sars-Virus (Sars: Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom, ausgelöst durch das Virus Sars-CoV-1). Sars-CoV-2 gehört, wie Sars-CoV-1, zur Gruppe der Coronaviren, die bei Menschen und Tieren verschieden schwere Erkrankungen auslösen können. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Sars-CoV-2 oft mit den Begriffen „Corona”, „Coronavirus” oder „neuartiges Coronavirus” gleichgesetzt. |
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Seneszenz |
biologisches Phänomen, nachdem Zellen von Wirbeltieren nach einer bestimmten Zahl von Zellteilungen ihr Wachstum einstellen; beschreibt den degenerativen Prozess, der mit dem natürlichen Altern einhergeht |
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Renin-Angiotensin-Aldosteron-System |
steuert den Volumenhaushalt des menschlichen Körpers und reguliert den Blutdruck |
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Thromboinflammation |
pathologische Wechselwirkungen von Entzündung und Blutgerinnung (Koagulation) |
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vasoaktiv |
den Tonus der Blutgefäße beeinflussend (zu einer Gefäßerweiterung oder -verengung führend) |
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Zytokine |
Proteine, die Zellwachstum und Differenzierung regulieren; Botenstoffe |
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Glossar medizinischer Fachbegriffe |
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ACE2/ACE2-Rezeptor |
Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (Angiotensin-converting enzyme 2, ACE2), ein Transmembranprotein, das u. a. in Herz und Lunge vorkommt und von Coronaviren als Andockstelle genutzt wird, um in die Zelle zu gelangen; ACE2 spielt eine wichtige Rolle im kardiovaskulären, v. a. Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (s. u.). |
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Adhäsion |
Aneinanderhaften |
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Albumin, verminderter Albuminwert |
Plasmaprotein, das im Blut als Transport- und Pufferprotein fungiert und dafür sorgt, dass keine Flüssigkeit aus den Blutgefäßen in das umliegende Gewebe austritt. Ist der Wert ggü. dem Normalwert vermindert, befindet sich zu wenig Albumin im Blut, es können Ödeme und andere Erkrankungen entstehen. |
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Amyloid-β |
Proteinmarker (s. u.) |
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Anämie |
Blutarmut, verminderte Hämoglobin-Konzentration im Blut, die zu Sauerstoffmangel führt |
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Apharese, Immunapharese |
Blutwäsche; bei der Immunapherese werden bestimmte Antikörper aus dem Blut entfernt. |
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BSE |
Bovine spongiforme Enzephalopathie („Rinderwahn“), Tierseuche; tödliche Erkrankung des Gehirns (schwammartige Veränderung, ausgelöst durch Prionen (s. u.)) |
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Chemokine / Chemokinproduktion |
Chemokine sind eine Gruppe von Signalproteinen und gehören zur Gruppe der Zytokine (s. u.); locken Effektorzellen zu den Infektionsherden und sorgen dafür, dass Abwehrzellen durch Gefäßwände in das beschädigte Gewebe eindringen können |
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Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) |
siehe Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) |
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Covid-19 |
die infolge einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auftretende Infektionskrankheit, bei der primär die Atemwege und die Lunge befallen sind |
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C-reaktives Protein (CRP) |
Plasmaprotein, das in der akuten Phase von Entzündungen und Infektionen erhöht ist |
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D-Dimere |
Abbauprodukte eines Blutgerinnsels, die im Blut gemessen werden können; erhöhte D-Dimere können auf Thrombosen, Lungenembolien oder andere Erkrankungen hinweisen |
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Endothel, Endothelien |
dünne Zellschicht, die das Innere (Lumen) von Blutgefäßen auskleidet; dient u. a. als Barriere zum Gewebe |
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Endothelial to Mesenchymal Transition (EndMT) |
EndMT ist ein Vorgang, bei dem sich bestimmte Zellen im Körper verändern. Endothelzellen, die normalerweise Blutgefäße auskleiden, verwandeln sich in mesenchymale Zellen, die ganz andere Aufgaben haben – z. B. können sie sich bewegen, wachsen und neue Gewebe bilden. |
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Erythrozyten |
rote Blutkörperchen; transportieren Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid |
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Ferritin |
Proteinkomplex, „Depot-Eisen“ |
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Fibrinogen |
Protein, das eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung spielt; auch als Entzündungsparameter zu interpretieren |
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Fibromyalgiesyndrom |
Syndrom aus Schmerzen in verschiedenen Körperregionen, Schlafstörungen und vermehrter Erschöpfung; vorrangig eine Störung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, keine entzündliche Erkrankung |
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GABA |
Gamma-Aminobuttersäure (englisch: Gamma Amino butyric Acid), bedeutender Neurotransmitter im zentralen Nervensystem; seine Hauptfunktion besteht in der Ausübung einer inhibitorischen, also hemmenden, beruhigenden Wirkung |
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Gesamt-τ und pT181-τ |
Gesamt-τ: zeigt, wie viel von dem τ-Protein insgesamt vorhanden ist – Hinweis auf Nervenzellschaden; pT181-τ: eine veränderte (krankhafte) Form von τ – Hinweis speziell auf Alzheimer. |
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Glykokalyx, Glykolalyx-Barriere |
Schicht an der Außenfläche der Zellmembran |
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hyperbar / hyperbare Sauerstofftherapie |
erhöhter Druck / Behandlungsmethode, bei der unter einem erhöhten Umgebungsdruck medizinisch reiner Sauerstoff eingeatmet wird (Druckkammertherapie) |
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Hyperinflammation |
s. Inflammation |
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Hyperkoagulabilität |
erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes, die zu Thrombenbildungen führen kann |
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Hyperpermeabilität |
erhöhte (Darm)Durchlässigkeit |
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Hypothyreose |
Schildrüsenunterfunktion; zahlreiche Stoffwechselfunktionen des Körpers laufen langsamer ab als normal, die Folgen sind geringere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. |
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Inflammation |
Entzündung; eine körpereigene Reaktion auf schädliche Reize, die sich durch Rötung, Schwellung, Überwärmung, Schmerz und funktionelle Einschränkung äußert |
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Interleukin-6 |
ein Botenstoff und Entzündungsmediator, der bei akuten Infektionen und Gewebsschädigungen ansteigt (Interleukine regulieren die Entzündungsreaktion des Organismus) |
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Koagulation |
Blutgerinnung |
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Koagulopathie |
Gerinnungsstörung / Störung der Blutgerinnung, verursacht durch einen Mangel oder eine Störung der Gerinnungsfaktoren |
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kortikal |
die Hirnrinde (Kortex) betreffend |
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Laktatdehydrogenase |
Enzym, das an der Milchsäuregärung beteiligt ist, wodurch Zellen Energie aus Blutzucker gewinnen, ohne dass sie dafür Sauerstoff benötigen; wird als Laborparameter zur Erkennung von Zellschädigungen genutzt. |
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Leukozytenadhäsion(sdefekt) |
Immundefekt; Störungen der Leukozytenadhäsion führen zu erhöhter (bakterieller) Infektanfälligkeit |
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Lymphopenie |
Mangel an Lymphozyten (Immunzellen) im Blut, der das Immunsystem schwächt und Infektionen begünstigt |
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Makrogefäß |
großes Blutgefäß |
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Makrophagen |
weiße Blutkörperchen aus der Gruppe der Fresszellen, die Viren, Bakterien und Toxine im Körper fressen und zerstören |
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Mikrogefäß |
kleinste Blutgefäße mit einem Durchmesser kleiner als 100 Mikrometer |
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Monozyten |
im Blut zirkulierende Zellen des Immunsystems |
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ME/CFS Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrome |
Beim Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) handelt es sich um eine komplexe, meist durch Infektionen ausgelöste Erkrankung, deren Ursachen nicht vollständig geklärt sind. Das Hauptsymptom von CFS ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz mit Symptomverschlechterung oft bereits nach minimalen Anstrengungen (s. PEM). Die Erkrankung wird aufgrund der begleitenden Funktionsstörungen des autonomen und des zentralen Nervensystems als neurologische Erkrankung geführt. Ein endgültiger Beweis dafür, dass die Ursache in einer Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) liegt, ist jedoch noch nicht erbracht, insofern ist das „ME“ in der Bezeichnung nicht unproblematisch. |
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Neurofilamentleichtketten |
sind sowohl im Liquor als auch im Blut nachweisbar und können als ein Indikator für neuronale Schäden dienen |
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Neurogranin |
ein postsynaptisches Protein, das hauptsächlich in Cortex und Hippocampus vorkommt und als Biomarker/Proteinmarker (s. u.) interpretiert werden kann |
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neurotrop |
die Nerven oder das Nervengewebe beeinflussend |
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Neutrophilie; Neutrophile |
Neutrophilie ist eine erhöhte Zahl von neutrophilen Granulozyten (kurz: Neutrophile; weiße Blutkörperchen, die Krankheitserreger bekämpfen) im Blut, die oft auf Entzündungen oder Infektionen hinweist. |
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orthostatisch / orthostatische Intoleranz |
die aufrechte Körperhaltung betreffend / Störungen des autonomen Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems, bei denen als Leitsymptom aufrechte Körperpositionen wie Sitzen oder Stehen nur eingeschränkt oder gar nicht toleriert werden (Schwindel, Herzrasen, Übelkeit, Benommenheit u. a.) |
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OSAS |
Obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom; Atemstörung, bei der im Schlaf die Atmung aussetzt oder behindert ist |
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PEM |
Post Exertionale Malaise (PEM) ist ein häufiges Symptom der Myalgischen Enzephalomyelitis bzw. des Chronischen Fatigue-Syndroms (ME/CFS) und kann in schweren Fällen auch bei Patient*innen mit PCS auftreten. PEM beschreibt eine schwere Belastungsintoleranz. Symptome treten in der Regel nach körperlicher oder geistiger Anstrengung auf und können Tage oder in seltenen Fällen sogar Wochen anhalten. Die Symptome umfassen schwerwiegende Erschöpfung, Schmerzen, kognitive Beeinträchtigungen, Schwindel, Übelkeit und Schlafstörungen. |
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postural / posturales Tachykardiesyndrom |
die Körperhaltung betreffend / Erkrankung, bei der die Patient*innen beim Aufstehen bzw. Wechsel in die aufrechte Körperlage (Orthostase) an Herzrasen, Benommenheit, Schwindel leiden; entsteht häufig nach Virusinfektionen |
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Prionen |
abnormale Proteine, proteinartige infektiöse Partikel, die übertragbare schwammartige Hirnerkrankungen verursachen |
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Procalcitonin / Procalcitonin-Tests |
ein Enzündungsparameter; Procalcitonin (PCT) heißt die Vorstufe eines körpereigenen Schilddrüsenhormons, die normalerweise kaum oder gar nicht im Blut nachweisbar ist – kommt es zu einer Entzündung, steigt die PCT-Menge im Blut plötzlich an. |
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Proteinmarker |
spezielle Proteine, die in Zellen und Geweben vorkommen und bestimmte Bedingungen oder Eigenschaften dieser Zellen anzeigen können; sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Diagnose von Krankheiten und der Bestimmung von Behandlungsoptionen |
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protrahiert |
verlängert, verzögert (z. B. Krankheitsverlauf) |
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Sars-CoV-2 |
Bezeichnung des 2019 neu identifizierten Coronavirus. Der Name zeigt die enge Verwandtschaft mit dem Sars-Virus (Sars: Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom, ausgelöst durch das Virus Sars-CoV-1). Sars-CoV-2 gehört, wie Sars-CoV-1, zur Gruppe der Coronaviren, die bei Menschen und Tieren verschieden schwere Erkrankungen auslösen können. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Sars-CoV-2 oft mit den Begriffen „Corona”, „Coronavirus” oder „neuartiges Coronavirus” gleichgesetzt. |
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Seneszenz |
biologisches Phänomen, nachdem Zellen von Wirbeltieren nach einer bestimmten Zahl von Zellteilungen ihr Wachstum einstellen; beschreibt den degenerativen Prozess, der mit dem natürlichen Altern einhergeht |
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Renin-Angiotensin-Aldosteron-System |
steuert den Volumenhaushalt des menschlichen Körpers und reguliert den Blutdruck |
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Thromboinflammation |
pathologische Wechselwirkungen von Entzündung und Blutgerinnung (Koagulation) |
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vasoaktiv |
den Tonus der Blutgefäße beeinflussend (zu einer Gefäßerweiterung oder -verengung führend) |
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Zytokine |
Proteine, die Zellwachstum und Differenzierung regulieren; Botenstoffe |