PTJ_3_2024_online

■Schwerpunkt: Psychotherapeutische Unterstützung und Behandlung von traumatisierten Personen ■ Psychotherapie – ein Risiko für die Glaub- haftigkeit im Strafverfahren? ■ „Childhood-Haus“ – ein neues Konzept im interdisziplinären Kinderschutz ■ Psychodynamische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie nach der Flucht ■Konzeptionelle und praxisbezogene Anmerkungen zur OPD-3 ■Digitale Übungen zur Stärkung emotionaler Kompetenz Psychotherapeuten journal www.psychotherapeutenjournal.de | ISSN 1611-0773 | D 60843 | 23. Jahrgang | 16. September 2024 PTJ 3/2024 (S. 229–346)

Geschlechtersensible Sprache Das Psychotherapeutenjournal empfiehlt im Sinne eines geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs für die Bezeichnung von Personen oder Gruppen, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, die Verwendung des sog. Gendersternchens (z. B. „Psychotherapeut*innen“, „ein*e Psychotherapeut*in“), sofern es keine sprachlich etablierte geschlechtsneutrale Formulierung gibt. Alternativ besteht die Möglichkeit, texteinheitlich die Paarschreibweise mit männlicher und weiblicher Form (z. B. „Psychotherapeutinnen und -therapeuten“, „eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut“) heranzuziehen. Bitte beachten Sie, dass auch in diesem Fall Personen mit non-binärer Geschlechtsidentität immer ausdrücklich mitgemeint und angesprochen sind. Zur Begründung dieser Sprachregelung lesen Sie bitte das Editorial in Ausgabe 4/2021.

Liebe Kolleg*innen, Editorial wenn Sie diesen Text lesen, liegt der Sommer schon hinter uns und die Welt hat sich weitergedreht. Gerade scheint sie nicht nur symbolisch zu brennen. Wir sind damit konfrontiert, wie Gewalt, Emotionalisierungen und Komplexitätsreduktionen im Alltag zunehmen. Fakten scheinen als Grundlage in manchen Kreisen immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Diffamierungen, Fake News, unbelegbare Behauptungen und Lügen ersetzen Sachargumente. Mit groben Verkürzungen und dem Schüren von Ressentiments drängen Rechtspopulist*innen in immer mehr Staaten an die Macht. Indes versuchen etablierte Parteien teilweise, durch eine Kopie der rechtspopulistischen Rhetorik und Positionen abtrünnige Teile ihrer einstigen Wählerschaft zurückzugewinnen. Ist mit dem differenzierten Vermitteln komplexer Zusammenhänge kein Staat (mehr) zu machen? In unseren psychotherapeutischen Behandlungen sind wir der Wahrheit/ Wahrhaftigkeit verpflichtet. Neurotisches Leiden, neurotische und psychotische Verzerrungen werden in psychotherapeutischen Prozessen empathisch begleitet, schrittweise hinterfragt, konfrontiert, verstanden und eingeordnet. Wenn es gut geht, ist dies der Weg zur Heilung. Gesellschaftlich scheint das allerdings nicht zu funktionieren. Vor sechs Jahren habe ich beschrieben, dass wir Psychotherapeut*innen wissen, wie viel Zeit und Wiederholung es bedarf, um Neues zu etablieren. Wie genau die „Fähren ins Bewusstsein“ führen, wie Worte im Gehirn Bedeutung entwickeln, ist neurowissenschaftlich noch nicht genau geklärt, aber wir erfahren täglich, wie mächtig und wirksam Sprache in alle Richtungen ist. Für Vermittlung und Veränderung komplexer Zusammenhänge scheinen Politiker*innen dagegen in den zur Verfügung stehenden kurzen Wahlperioden wenig Zeit zu haben. Ein befreundeter Bundestagsabgeordneter erzählte mir vor Jahren, wie es ihn während seines ersten Bundestagsmandats erschüttert habe, dass fast alle Parlamentarier*innen in der Mitte der Legislaturperiode begannen, an ihrer Wiederwahl zu arbeiten und komplexere Themen zu vermeiden. Vielleicht ist es deshalb manchmal so schwer, in Demokratien langfristige Projekte auf den Weg zu bringen und zu verfolgen, vor allen Dingen solche, die mit Einschränkungen und Einschnitten für die eigene Wählerschaft verbunden sind. Dabei werden wir von Entwicklungen überrannt, deren Dimensionen wir lange verleugnet haben. Die Folgen von Klimawandel, Krieg, Flucht, Gewalt und Ausbeutung wirken sich immer deutlicher im gesellschaftlichen Leben, aber auch im Psychischen, in Sinnverlust und ausgeprägter Erfahrung von Hilflosigkeit aus. Sich vor diesem Hintergrund emotional zu regulieren, die Perspektiven anderer mitzudenken und besonnen zu handeln, fällt offenbar immer schwerer und erscheint Vielen sinnlos. Die Bereitschaft zum Affektdurchbruch ist allgegenwärtig. Das zeigt sich mitunter auch im Ausmaß von Gewalt in der Gesellschaft. Besonders erschreckend sind dabei Übergriffe in sozialen Nahverhältnissen, v. a. in Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Berichtsjahr 2023 wurden bundesweit jeden Tag durchschnittlich mehr als 50 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch, davon sogar sechs Kinder im Alter von unter sechs Jahren. Die Zahlen im Dunkelfeld liegen leider wohl noch deutlich höher. Wie wichtig es ist, sich von solch erschütternden Zahlen nicht entmutigen zu lassen, sondern sich beständig am Kampf für Verbesserungen zu beteiligen, zeigt der am 19. Juni 2024 vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern. Zum einen verstetigt dieser endlich das Amt des*der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), zum anderen werden strukturelle Verbesserungen und Maßnahmen zur Prävention gegen sexuellen Missbrauch festgeschrieben. Vor diesem Hintergrund widmen wir uns in einem Schwerpunkt dem Zusammenhang therapeutischen Handelns inmitten des Traumas aus unterschiedlichen Perspektiven. Wir nehmen das schwierige Verhältnis von Psychotherapie und Strafverfahren in den Blick wie auch die Frage, wie eine angemessene Begleitung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen z. B. mit dem Konzept des Childhood-Hauses gelingen kann. Auch die komplexe Situation von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die sich auch nach der Flucht noch in traumatischen Prozessen befinden, wird aufgegriffen. Aus psychotherapeutischer Perspektive ist die Bedeutung von frühen präventiven Ansätzen zu betonen. Der o. g. Gesetzentwurf macht Hoffnung und zeigt auf, dass auch in scheinbar ausschließlich düsteren Zeiten nach konstruktiven Lösungen gesucht wird. Ich wünsche Ihnen, trotz allem, einen schönen Spätsommer. Mischen Sie sich mutig und tatkräftig ein und bleiben Sie gesund. Torsten Michels (Hamburg) Mitglied des Redaktionsbeirates 3/2024 Psychotherapeutenjournal 229

Inhalt Originalia Inhalt Schwerpunkt: Psychotherapeutische Unterstützung und Behandlung von traumatisierten Personen Jonas Schemmel Wann gefährdet Psychotherapie die Glaubhaftigkeit in Strafverfahren (und wann nicht)? Erläuterungen und Handlungsempfehlungen für Psychotherapeut*innen Traumatisierte Patient*innen können zentrale Opferzeug*innen in Strafverfahren sein. Der Artikel beschreibt mögliche Erinnerungsveränderungen im Rahmen einer Psychotherapie und gibt Empfehlungen, wie das Risiko von für die Glaubhaftigkeit problematischen Erinnerungsveränderungen reduziert werden kann. Sabine Ahrens-Eipper & Andrea Walter Psychotherapie und Strafverfahren – kein Widerspruch. Hintergründe und berufspraktische Hinweise für Psychotherapeut*innen Der Artikel möchte kurz den Stand der Forschung zur leitliniengemäßen Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung wiedergeben und die Besonderheiten bei einem mit dem Trauma assoziierten laufenden oder nahenden Strafprozess darstellen. Vor diesem Hintergrund sollte bei Vorliegen einer Traumafolgestörung ohne Rücksicht auf die in einem Strafverfahren anstehenden Vernehmungen mit einer Psychotherapie zeitnah begonnen oder eine bereits eingeleitete Psychotherapie fortgeführt werden. Marilena de Andrade & Astrid Helling-Bakki Childhood-Haus: Chance & Herausforderung im interdisziplinären Kinderschutz Wie gelingt komplexe, interdisziplinäre, traumasensible und kindzentrierte Zusammenarbeit über die Grenzen verschiedener Professionen und behördlicher Strukturen hinweg? Am Beispiel des Childhood-Haus-Konzepts werden Chancen und Herausforderungen im interdisziplinären Kinderschutz insbesondere im Hinblick auf verschiedene Tätigkeitsfelder der Psychologie mit ihren Schnittstellen der klinischen Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Rechtspsychologie erläutert. Christoph Müller Psychotherapeutisch Handeln inmitten des Traumas. Psychodynamische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie nach der Flucht Der Beitrag beschreibt die Situation von geflüchteten Kindern und Jugendlichen vor dem Hintergrund sequenzieller Traumatheorien. Die Geflüchteten befinden sich häufig auch nach der Flucht noch inmitten potenziell traumatischer Prozesse. Der Autor plädiert dafür, auch in dieser Phase als Kinder- und Jugendlichenpsycho therapeut*innen aktiv zu werden und eine therapeutische Begleitung anzubieten. Der Text diskutiert, welche Besonderheiten in der therapeutischen Haltung und Handlung dafür nötig sind. 233 242 251 260 230 Psychotherapeutenjournal 3/2024

Rezensionen 269 278 289 290 291 Lars Hauten & Ingo Jungclaussen Neuer Wein in neuen Schläuchen? Konzeptionelle und praxisbezogene Anmerkungen zur Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-3) Dieser Beitrag beleuchtet aus einer unabhängigen Perspektive außerhalb der OPD-Arbeitsgruppe die konzeptionellen Änderungen der neuen, dritten Version der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD-3). Es wird zusammenfassend betont, dass die OPD-3 durch präzisierte Operationalisierungen eine genauere Diagnostik ermöglicht. Die große Herausforderung besteht darin, aufgrund der neuen Ausdifferenzierungen die hierdurch erhöhte Komplexität für die Praxis handhabbar zu machen. Avelina Lovis-Schmidt, Elisa Scheler & Heiner Rindermann Psychotherapie gezielt ergänzen: Digitale Übungen zur Stärkung emotionaler Kompetenz. Evaluation mithilfe experimenteller Einzelfallstudien Digitale Übungen zur Steigerung emotionaler Kompetenz wurden an Einzelpersonen, Eltern und Liebespaaren evaluiert. Die erste Übungsversion scheint vielversprechend und die Erfolge sind mit Präsenz-Interventionen vergleichbar. Der Artikel stellt die Evaluationsstudie und ihre Ergebnisse vor und zeigt Möglichkeiten für den begleitenden oder ergänzenden Einsatz der Übungen in der Psychotherapie auf. John Steiner – ein ungewöhnlicher Forscher auf den Spuren von NS-Täter-Persönlichkeiten Eine Rezension von Hans-Volker Werthmann: Fahrenberg, A. (Hrsg.). (2022). Täter-Forschung nach Auschwitz – John Steiners Untersuchungen. Am Fokus entlang – Klarheit und Struktur in der Behandlung komplexer früher Eltern-Kind-Beziehungsstörungen finden Eine Rezension von Doreen Pauls: Schlensog-Schuster, F., Koch, G. & LudwigKörner, Chr. (2023). Fokusbasierte Eltern-Säugling-Kleinkind-Psychotherapie. Ein psychodynamisches Behandlungsmanual. Theoretisches Kompendium und lebendiger Praxisleitfaden. Ein integrativer Überblick über das Feld der Körperpsychotherapie Eine Rezension von Stefan Ide: Marlock, G., Weiss, H., Grell-Kamutzki, L. & Rellensmann, D. (Hrsg.). (2023). Handbuch Körperpsychotherapie (2. Aufl.). 3/2024 Psychotherapeutenjournal 231

Editorial Leserbriefe und Repliken Kontaktdaten der Psychotherapeutenkammern Impressum Psychotherapeutenjournal Stellen- und Praxismarkt des medhochzwei Verlages Impressum Stellen- und Praxismarkt des medhochzwei Verlages 229 293 345 346 A1 A18 Bundespsychothera- peutenkammer Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg 319 Hessen 322 Niedersachsen 325 Nordrhein-Westfalen 330 Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer 334 Rheinland-Pfalz 338 Saarland 341 Schleswig-Holstein Mitteilungen der Psychotherapeutenkammern 297 301 305 309 313 315 Hinweise: Diese Ausgabe können Sie auch als PDF-Dokument von der Internetseite www.psychotherapeutenjournal.de herunterladen. 232 Psychotherapeutenjournal 3/2024

Wann gefährdet Psychotherapie die Glaubhaftigkeit in Strafverfahren (und wann nicht)? Erläuterungen und Handlungsempfehlungen für Psychotherapeut*innen Jonas Schemmel Zusammenfassung: Viele Patient*innen in Psychotherapie können gerade in Sexualstrafverfahren als potenzielle Opferzeug*innen eine entscheidende Rolle spielen. Es gibt jedoch Befürchtungen, eine Psychotherapie könnte Erinnerungen an das traumatische Delikt verfälschen. Der Artikel erläutert tatsächliche und vermeintliche Risiken einer Psychotherapie für die Glaubhaftigkeit und listet Handlungsempfehlungen für Psychotherapeut*innen auf. Von vornherein unproblematisch dürften psychotherapeutische Interventionen ohne spezifischen Erinnerungsbezug sein. Unbedingt sind suggestive Therapiesettings zu vermeiden, bei denen sich falsche Erinnerungen ausbilden können. Dabei liegen zu Beginn der Therapie keine Traumaerinnerungen vor und werden dann infolge eines gezielten Suchprozesses rekonstruiert. Werden bereits zu Therapiebeginn vorliegende Erinnerungen traumafokussiert behandelt, sind möglicherweise neu aufkommende Details genau zu protokollieren und zurückhaltend-skeptisch zu bewerten. Im Idealfall sollte zuvor eine fachgerechte Vernehmung durch Strafbehörden oder Gerichte durchgeführt und dokumentiert sein. tigkeit tatsächlich beeinflusst. Daran anknüpfend werden konkrete Handlungsempfehlungen präsentiert. Diese sollen Psychotherapeut*innen dabei unterstützen, problematischen Erinnerungsveränderungen vorzubeugen und – im Interesse einer effektiven Strafverfolgung und des Wohles der Patient*innen – kooperativ an einem möglichen Strafverfahren mitzuwirken. Psychotherapie und Glaubhaftigkeit – ein Spannungsfeld?! Traumatische Erfahrungen gelten als bedeutender Risikofaktor für die Ausbildung einer psychischen Störung (Daníelsdóttir et al., 2024).1 Die in diesem Zusammenhang prominenteste Diagnose ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die sich insbesondere nach interpersonellen Traumata, z. B. körperlichen oder sexuellen Übergriffen, ausbilden kann (Kessler et al., 2017; Maercker et al., 2008; McLaughlin et al., 2013). Gerade kindliche Gewalterfahrungen erhöhen jedoch auch das Risiko der Ausprägung einer psychischen Störung ohne diagnostischen Traumabezug, z. B. Depressionen, Angst- und Essstörungen oder Schizophrenie (Hailes et al., 2019; Hogg et al., 2023; McKay et al., 2022), wobei eine aktuelle Metaanalyse 34 quasi-experimenteller Studien einen kleinen, aber substanziellen durchschnittlichen Effekt ergab (d = ~ 0.3; Baldwin et al., 2023). Mauritz et al. (2013) fassten 33 Untersuchungen Einleitung Viele Patient*innen in der Psychotherapie blicken auf strafrechtlich relevante Gewalterfahrungen zurück. Dies gilt in besonderem Maße für Patient*innen in den Traumaambulanzen, wo Betroffene von Gewalt- und Sexualstraftaten insbesondere seit dem 1. Januar 2021 einen Anspruch auf eine niedrigschwellige und kurzfristige psychotherapeutische Behandlung haben (§§ 31–34 SGB XIV). Im Falle eines Strafverfahrens ist die Aussage dieser Patient*innen häufig entscheidend dafür, ob es schließlich zu einer Verurteilung des*der Angeklagten kommt oder nicht, und wird daher eingehend geprüft. In diesem Zusammenhang gibt es Befürchtungen, eine Psychotherapie könnte die Glaubhaftigkeit der Aussagen von Geschädigten beeinträchtigen. Gerichte sind durch höchstrichterliche Rechtsprechung angehalten, mögliche suggestive Einflüsse durch eine Psychotherapie zu überprüfen. In diesem Spannungsfeld aus Psychotherapie und Glaubhaftigkeit ergeben sich Herausforderungen für Patient*innen und Psychotherapeut*innen in der Praxis. Dies gilt vor allem, wenn der befürchtete Schaden für die Glaubhaftigkeit vor Gericht eine notwendige psychotherapeutische Intervention aufzuschieben oder gar ganz zu verhindern droht. Der vorliegende Artikel soll über diese Problematik informieren und praktisch auf die damit verbundenen Herausforderungen vorbereiten. Zunächst werden die Hintergründe der skizzierten Problematik ausgeleuchtet. Im Anschluss wird dargelegt, inwieweit eine Psychotherapie eine Aussage verändern kann und in welchen Fällen dies ihre Glaubhaf1 Zu den hier kursiv ausgewiesenen Kurztiteln finden Sie ausführliche bibliographische Angaben am Ende des Artikels, das vollständige Literaturverzeichnis auf der Homepage der Zeitschrift unter www.psychotherapeutenjournal.de. 3/2024 Psychotherapeutenjournal 233

zusammen und fanden bei erwachsenen Patient*innen mit verschiedenen schwerwiegenden, nicht traumabezogenen Störungsbildern eine deutlich erhöhte Prävalenz von körperlichen (25–72 %, im Mittel 47 %) und sexuellen Misshandlungen (24–49 %, im Mittel 37 %) in Kindheit und Erwachsenenalter. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass viele Patient*innen, die sich aufgrund ihrer Symptomatik in Psychotherapie begeben, traumatische Erfahrungen gemacht haben und sich dies nicht nur auf psychotherapeutische Einrichtungen mit einem klaren Traumafokus beschränkt. Viele der mit solchen traumatischen Erfahrungen verbundenen Taten sind strafbewehrt und können demnach Gegenstand von Strafverfahren werden. Vor allem bei in Rede stehenden Sexualstraftaten wird die Aussage der Betroffenen häufig besonders geprüft, da sie in der Regel das einzige Beweismittel darstellt (Aussage-gegen-Aussage-Konstellation). Vonseiten der Justiz wird dann häufig das Anliegen geäußert, eine möglichst ursprüngliche Aussage von Betroffenen für die Aufklärung des Sachverhaltes verwenden zu können (Stang & Sachsse, 2014). Dabei kommt gerade der Frage einer möglichen Beeinflussung durch eine Psychotherapie besondere Aufmerksamkeit zu. So führt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus, dass das Vorliegen von Pseudoerinnerungen nur dann verneint werden könne, wenn suggestive Einflüsse im Rahmen einer Psychotherapie ausgeschlossen werden können (2 StR 455/14, Rn. 19). Bei Hohoff (2021), Richterin am Bundesgerichtshof, heißt es, dass durch das Sprechen über Sexualdelikte in Psychotherapien nachfolgende Vernehmungen nur von „eingeschränktem Wert“ seien, da „Verfälschungen der Erinnerungen und suggestive Einflüsse des Therapeuten nur schwer ausgeschlossen werden können“ (S. 156; für eine ähnliche, internationale Perspektive siehe Branaman & Gottlieb, 2013). Nicht selten wird Geschädigten in diesem Zusammenhang von einer Psychotherapie abgeraten, solange ein Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist, weil dies die Aussage zu stark therapeutisch verändern und damit ihre Glaubhaftigkeit beschädigen könne (Branaman & Gottlieb, 2013; Stang & Sachsse, 2014). Da Betroffene oft ein Interesse an einer effektiven Strafverfolgung des Täters haben, kann sie dies vor die schwierige Abwägung zwischen der eigenen Gesundheit und der späteren Glaubhaftigkeit vor Gericht stellen („traumatherapeutisches Dilemma“; Bublitz, 2019). Auch für Psychotherapeut*innen ergeben sich aus dieser Situation besondere Herausforderungen (vgl. Fouché & le Roux, 2018). So muss im Interesse des*der Patient*in sein*ihr psychotherapeutischer Bedarf ermittelt und auf diesen adäquat eingegangen werden, ohne dass die notwendige psychotherapeutische Intervention zu aversiven Erfahrungen im Zusammenhang mit Ermittlungs- und Gerichtsverfahren führt, z. B. weil die Glaubhaftigkeit der Aussage – ob zu Recht oder Unrecht – infrage gestellt wird. Darüber hinaus ist gut möglich, dass Psychotherapeut*innen als sachverständige Zeug*innen vor Gericht Auskunft über Symptomatik, Ablauf und Inhalt der Therapie vor allem mit Bezug auf das fragliche Delikt geben müssen, wenn Patient*innen eine Schweigepflichtsentbindung erteilen. Unter dem Schlagwort „pre-trial therapy“ (PTT) existiert zu dieser Thematik zwar bereits eine – wenn auch überschaubare – englischsprachige Literatur (z. B. Branaman & Gottlieb, 2013; Fouché & Fouché, 2017); in der deutschsprachigen Literatur wurde die Thematik jedoch erst kürzlich und bislang nur vereinzelt aufgegriffen (Bublitz, 2019; Schemmel & Volbert, 2021). Hier schließt der vorliegende Artikel an, indem er über die obige Thematik informieren und praktische Empfehlungen an die Hand geben will, wie mit den damit verbundenen Herausforderungen umgegangen werden könnte. Im Einzelnen sollten Psychotherapeut*innen wissen, „ welche Erinnerungs- und Aussageveränderungen durch Psychotherapien bewirkt werden können, „ inwieweit diese für die De-facto- und die zugeschriebene Glaubhaftigkeit von Aussagen in Strafverfahren problematisch sein können und „ welche Maßnahmen Psychotherapeut*innen ergreifen können, um das Risiko von strafrechtlich relevanten Erinnerungs- und Aussageveränderungen zu minimieren und aus strafrechtlicher Perspektive relevante Informationen zur Verfügung stellen zu können. Auf diese Punkte wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen. Mögliche Erinnerungs- und Aussageveränderungen durch Psychotherapie Bezüglich relevanter Erinnerungsveränderungen im Rahmen von Psychotherapien sind kontinuierliche von diskontinuierlichen Erinnerungsverläufen zu unterscheiden. Bei diskontinuierlichen Verläufen weisen Patient*innen zu Beginn der Psychotherapie keine Erinnerung an ein bestimmtes Trauma auf und entwickeln diese erst im Laufe der Psychotherapie. Diese Verläufe sind häufig hochproblematisch. Bei kontinuierlichen Verläufen besteht zu Beginn der Therapie bereits eine Traumaerinnerung. Mögliche Erinnerungsveränderungen beziehen sich dann zumeist auf Details dieser Erinnerung und können, müssen aber nicht zwangsläufig problematisch sein. Viele Patient*innen, die sich aufgrund ihrer Symptomatik in Psychotherapie begeben, haben traumatische Erfahrungen gemacht. 234 Psychotherapeutenjournal 3/2024 Wann gefährdet Psychotherapie die Glaubhaftigkeit in Strafverfahren (und wann nicht)?

Mit Veränderungen der Aussage ist demgegenüber gemeint, dass der Inhalt der Erinnerung zwar prinzipiell gleich bleibt, sich aber die Art und Weise ihrer Darstellung ändert, z. B. im Hinblick auf die eine Erzählung begleitende Emotionalität. Dies ist aus aussagepsychologischer Sicht für die Bewertung der Glaubhaftigkeit in der Regel nicht relevant, kann aber für juristische Verfahrensbeteiligte eine Rolle spielen. Erinnerungsveränderungen – Diskontinuierliche Erinnerungsverläufe und falsche Erinnerungen Diskontinuierliche Verläufe von vermeintlichen Erinnerungen zeichnen sich dadurch aus, dass unmittelbar nach dem später behaupteten, zumeist traumatischen Ereignis keine Erinnerungen daran bestehen und diese erst graduell in der Folge eines erwartungsgeleiteten und spezifischen Suchprozesses generiert werden. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass durch einen solchen Suchprozess falsche Erinnerungen an Ereignisse entstehen können, welche niemals stattgefunden haben (Brainerd & Reyna, 2005; Brewin & Andrews, 2017; Loftus & Davis, 2006). Im Rahmen von Psychotherapien steht am Anfang eines solchen Suchprozesses in der Regel die Vermutung, das Symptombild eines*einer Patient*in sei Folge eines traumatischen Ereignisses, das nicht mehr erinnert werde. Das Fehlen der Erinnerungen wird häufig mit Annahmen begründet, traumatische Erfahrungen würden regelmäßig verdrängt oder dissoziiert und dies führe dazu, dass Betroffene an vollständiger Amnesie litten, also ihnen selbst das prinzipielle Wissen, das Trauma erlebt zu haben, unzugänglich sei. Begünstigt durch ihre emotionale und kognitive Mangelsituation unternehmen Patient*innen in der Folge Anstrengungen, die vermuteten Erinnerungen zu rekonstruieren. Dabei bedienen sich die Patient*innen zumeist suggestiv wirksamer Techniken, die die Entstehung bildhafter Vorstellungen fördern. Auf der Basis einer hinreichenden Überzeugung, ein vermutetes Ereignis habe stattgefunden, dürfte jedoch jede intensive kognitive Auseinandersetzung damit mentale Bilder generieren (Hyman & Loftus, 1998). Wenn die so entstehenden Bilder mit biographischen Informationen oder bereits bestehenden Erinnerungen verknüpft und als historische Wahrheit interpretiert werden, begünstigt dies schließlich einen Quellenverwechslungsfehler, d. h. die fälschliche Zuschreibung intern generierter Bilder als extern, also durch Wahrnehmung äußerer physikalischer Reize, generierter Bilder (zum Ganzen siehe Lindsay & Read, 1994; Lynn et al., 2015; Volbert, 2018). Obwohl ein solcher Prozess auch außerhalb von Psychotherapien stattfinden kann (Dodier & Patihis, 2021), können Psychotherapeut*innen ihn erheblich begünstigen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Autorität und ihres tatsächlichen und zugeschriebenen Wissens- und Kompetenzvorsprungs, der Patient*innen besonders empfänglich für therapeutische Annahmen macht (Dodier et al., 2019; Patihis & Pendergrast, 2019). Suggestive Prozesse können dann von Psychotherapeut*innen angestoßen werden, wenn sie die Überzeugung einer Patient*in, ein nicht mehr erinnerliches Trauma erlebt zu haben, durch Plausibilitätsinformationen fördern (Scoboria et al., 2007, 2014). Dies kann z. B. durch die Attribution von Symptomen auf nur vermutete Traumata oder auch die Normalisierung eines Nichterinnerns von Traumata gegenüber dem*der Patient*in geschehen, indem die Konzepte der Verdrängung und/oder Dissoziation traumatischer Erfahrungen diskutiert werden (Volbert, 2018). Psychotherapeut*innen können zudem selbst direkte Vermutungen bezüglich einer erlebten Traumatisierung der Patient*in anstellen und durch mehrfache, insistierende Nachfragen eine suggestiv wirksame Situation schaffen. Eine solche Situation ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der*die Patient*in durch die Kommunikation einer Erwartungshaltung unter Druck gesetzt wird, welcher durch die vermeintliche Wiedererinnerung des vermuteten Traumas wieder aufgelöst werden kann. Darüber hinaus können Psychotherapeut*innen gezielt und möglicherweise wiederholt therapeutische Techniken mit dem Ziel anwenden, vermutete Erinnerungen zu rekonstruieren (Lynn et al., 2015). Hierzu zählen Aufforderungen, sich hypothetische Missbrauchsszenarien vorzustellen (z. B. beim Betrachten von Familienfotos), oder auch Traumdeutungen, in denen von Traumbildern direkt auf die historische Vergangenheit geschlossen wird. Aber auch etablierte traumafokussierte Verfahren und Methoden (z. B. Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), Imaginative Reprocessing and Rescripting Therapy (IRRT) oder traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie) können dann suggestives Potenzial entfalten, wenn sie nicht, wie in den Leitlinien vorgesehen, für die Reprozessierung vorliegender Erinnerungen bzw. eine In-sensu-Konfrontation mit vorliegenden Erinnerungen verwendet, sondern zur Rekonstruktion nur vermuteter Erinnerungen eingesetzt werden. In diesem Fall erhöhen sie nicht zuletzt aufgrund des imaginativ-reprozessierenden Vorgehens das Risiko, dass die für eine Bearbeitung notwendige bildhafte Erinnerung zwar durch den Einsatz der psychotherapeutischen Intervention entsteht, aber nicht auf tatsächlichem Erleben basiert (Schemmel et al., 2024). Schließlich können Psychotherapeut*innen die durch einen solchen suggestiven Rekonstruktionsprozess entstandenen Bilder eines*einer Patient*in als historische Wahrheiten interpretieren, sodass gerade vor dem Hintergrund der therapeutischen Autorität ein Quellenverwechslungsfehler aufseiten des*der Patient*in wahrscheinlicher und intern generierte Bilder für extern generiert, d. h. auf Wahrnehmungen basierend, gehalten werden (Loftus & Davis, 2006). Es ist deutlich darauf hinzuweisen, dass die diesem Prozess zugrunde liegenden Annahmen wissenschaftlich nicht haltbar sind. So werden traumatische Erinnerungen in der Regel besonders gut behalten (McNally, 2003, 2005). Während sie, ähnlich wie andere Erinnerungen, durchaus unvollständig und fehlerhaft sein können und im Laufe der Zeit Veränderungsprozessen unterliegen (Sommer & Gamer, 2018; Volbert, 2011; Volbert et al., 2019), gelten psychogene 3/2024 Psychotherapeutenjournal 235 J. Schemmel

Totalamnesien von Traumaerinnerungen als extrem selten (Ehlers et al., 2012). Weder Verdrängung noch Dissoziation sind als gedächtnisbeeinflussende Prozesse belegt (McNally, 2023; Otgaar et al., 2019); klinische Beobachtungen, die als Hinweise auf Verdrängung oder Dissoziation von Erinnerungen angeführt werden, können meistens besser durch übliche Vergessensprozesse oder kognitive Vermeidung erklärt werden (Clancy & McNally, 2005; Howe, 2022). Umgekehrt ist der Entstehungsprozess falscher Erinnerungen empirisch gut belegt (Brainerd & Reyna, 2005; Scoboria et al., 2017). Auch in der klinischen Psychologie wird explizit vor dem oben beschriebenen therapeutischen Handeln gewarnt, da es das Risiko falscher Erinnerungen erheblich steigert (Brewin & Andrews, 2017). Dennoch gaben in einer aktuellen Untersuchung 35 % der befragten Psychotherapeut*innen in Deutschland an, mindestens einmal eine lediglich vermutete Traumaerinnerung einer Patient*in gezielt aufgedeckt zu haben, wobei dies bei den meisten Psychotherapeut*innen jeweils insgesamt nur sehr selten geschah. Dabei scheint die initiale Vermutung eines Traumas hinter Symptomen nicht nur von Psychotherapeut*innen, sondern häufig auch von Patient*innen geäußert zu werden (Schemmel et al., 2024). Von den beschriebenen Wiedererinnerungen als Ergebnis eines expliziten Suchprozesses sind spontane Wiedererinnerungen abzugrenzen, welche durch Konfrontation mit einem Hinweisreiz auftreten, der assoziativ mit einer bestimmten Erinnerung verknüpft ist, die wiederum über einen gewissen Zeitraum nicht abgerufen wurde (Dodier et al., 2023; Meyersburg, 2015). Unter bestimmten Bedingungen können auch traumatische Erfahrungen zunächst vergessen und spontan wiedererinnert werden (Schooler et al., 1997; Shobe & Schooler, 2001). McNally und Geraerts (2009) fassen zusammen, dass dies am ehesten bei einmaligen Ereignissen vorkommt, welche zunächst nicht als traumatisch wahrgenommen wurden. Wenn im weiteren Verlauf Erinnerungsauslöser fehlen und/oder früheres Erinnern vergessen wird („forgotit-all-along effect“; Anthony & Janssen, 2023), kann die unerwartete Konfrontation mit einem Erinnerungsauslöser eine spontane Wiedererinnerung eines Traumas auslösen, welche häufig mit Überraschung aufgenommen wird (siehe auch Dodier et al., 2023). Insofern sind Wiedererinnerungen nicht per se gleichzusetzen mit falschen Erinnerungen. Es kommt auf die Genese der Wiedererinnerung an. Auch im Rahmen von Psychotherapien ist möglich, dass z. B. aufgrund einer offenen Frage oder eines Denkanstoßes Patient*innen spontan aversive oder gar traumatische Erfahrungen wiedererinnern, ohne dass sich hieraus Hinweise auf einen suggestiven Verlauf ergeben (Goodman et al., 2019). Denkbar ist, dass diese Form der Wiedererinnerung keineswegs selten in der Psychotherapie auftritt (Schemmel et al., 2024). Sie sollte aber klar von solchen Wiedererinnerungen unterschieden werden können, die Ergebnis eines Suchprozesses sind (Meyersburg, 2015). Erinnerungsveränderungen – Verfälschungen von kontinuierlichen Erinnerungen Die zentrale Besonderheit des oben beschriebenen Verlaufes besteht darin, dass sich Patient*innen in Psychotherapie begeben, ohne explizite Traumaerinnerungen zu haben, und diese erst im Rahmen einer Psychotherapie entwickeln. Gerade in Traumaambulanzen dürften sich aber häufiger solche Patient*innen vorstellen, deren traumatisches Erlebnis nicht weit zurückliegt und prinzipiell erinnert wird. In diesen Fällen kann Psychotherapie aus logischen Gründen keine vollständigen Erinnerungen induziert haben (Schemmel & Volbert, 2021). Es stellt sich dann vielmehr die Frage, inwieweit Psychotherapie auch kontinuierliche, bereits zu Therapiebeginn bestehende Erinnerungen verfälschen könnte. Zunächst ist festzuhalten, dass sich auch bei bereits bestehenden Traumaerinnerungen eine explizite Suche nach zusätzlichen, lediglich vermuteten Erinnerungen verbietet. Psychotherapeut*innen könnten ein solches Vorgehen wählen, z. B. wenn sie postulieren, bereits erinnerliche Traumata könnten die beobachteten Symptome nicht hinreichend erklären und es müsse sich noch mehr zugetragen haben. Dies geht mit dem hohen Risiko einher, dass zusätzlich zur kontinuierlichen Traumaerinnerung vermeintliche Erinnerungen an weitere Traumata kreiert werden, die möglicherweise nicht auf wahrem Erleben beruhen. Darüber hinaus ist zu klären, inwieweit sich einzelne Aspekte der kontinuierlichen Erinnerung durch therapeutische Prozesse verändern können. Es ist empirisch gut gesichert und weitestgehend unumstritten, dass das Gedächtnis rekonstruktiv funktioniert und gerade der Abruf von autobiografischen Erinnerungen von unterschiedlichen kognitiven Prozessen der Gegenwart, z. B. von Motivation, aktuellen Wahrnehmungen und Bedürfnissen oder Vorstellungen, beeinflusst werden kann (Pohl, 2007; Schacter, 2012). Umfangreiche Forschung zeigt, dass diese vermutlich adaptive Eigenschaft des Gedächtnissystems anfällig für irreführende Informationen machen und damit zu einer Erinnerungsverfälschung beitragen kann („misinformation effect“; Loftus, 2005; Loftus & Klemfuss, 2023). Eine solche Beeinflussung muss dabei nicht mit Absicht erfolgen, sondern kann bereits durch unbewusst Aus aussagepsychologischer Perspektive ist die emotionale Beteiligung von Opferzeug*innen während der Aussage unerheblich, weil sie kein verlässlicher Indikator für die Glaubhaftigkeit ist. 236 Psychotherapeutenjournal 3/2024 Wann gefährdet Psychotherapie die Glaubhaftigkeit in Strafverfahren (und wann nicht)?

subtile Formulierungen einer Frage geschehen, sodass diese suggestive Wirkung entfalten kann (Scoboria et al., 2002). Auch andere psychotherapeutische, gerade imaginative Techniken dürften grundsätzlich in der Lage sein, einzelne Details einer Erinnerung zu verändern (Lindsay & Read, 1994), zumal sie im Kontext einer Therapie selten losgelöst von aktuellen Erwartungen, Bedürfnissen und Zielen von Patient*in und Psychotherapeut*in besprochen werden dürften. Vor diesem Hintergrund erscheint vor allem der Effekt von traumafokussierten Verfahren und Methoden, wie z. B. EMDR, der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie oder auch IRRT, relevant. Solche Verfahren und Methoden stehen im Zentrum der leitliniengerechten Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (Schäfer et al., 2019), instruieren Patient*innen, das traumatische Ereignis mental zu prozessieren, und – wie im Fall von IRRT – arbeiten zum Teil mit der bewussten Integration neuer Details in erinnerte Abläufe. Inwieweit dies tatsächlich geeignet ist, Erinnerungen zu verfälschen, dürfte u. a. von der subjektiven Plausibilität der neuen Details und der Stärke der Erinnerung abhängen. In den letzten Jahren standen vor allem EMDR und Imagery Rescripting im Fokus von experimentellen Untersuchungen bezüglich ihres (verfälschenden) Effekts auf Erinnerungen. Im Hinblick auf EMDR wurde insbesondere der Einfluss der horizontalen Augenbewegungen während des Abrufs der zu bearbeitenden Erinnerung geprüft. Sowohl Otgaar et al. (2021) als auch Kenchel et al. (2022) hielten in ihren Übersichtsarbeiten hierzu jeweils fest, dass die überschaubare Studienlage die Annahme einer erhöhten Anfälligkeit für Falschinformationen durch die bei EMDR üblichen Augenbewegungen bislang nicht bestätige. In der Tat wurden vereinzelt gefundene Effekte entweder bislang nicht repliziert (Houben et al., 2018; Calvillo & Emami, 2019; Kenchel et al., 2022; van Schie & Leer, 2019) oder bezogen sich auf Wiedererkennungsfehler in Laboraufgaben (Houben et al., 2020; Leer & Engelhard, 2020). Ein Effekt der Augenbewegungen auf tatsächlich autobiografische Erinnerungen konnte in einer weiteren Studie nicht gezeigt werden (Meckling et al., 2024). Eine Arbeitsgruppe der LMU München hat in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen insbesondere zum Effekt von Imagery Rescripting auf den Inhalt von Erinnerungen vorgelegt (Aleksic et al., 2024; Ganslmeier, Ehring et al., 2023; Ganslmeier, Kunze et al., 2023). Dafür schauten gesunde erwachsene Proband*innen einen aversiven Film oder mussten eine stressinduzierende Aufgabe bewältigen (Trierer StressTest), was im Verlauf der Untersuchung mithilfe von Imagery Rescripting und zum Teil mit Imagination bearbeitet wurde (Aleksic et al., 2024). Insgesamt ergaben die zitierten Untersuchungen keine Zunahme von falschen Angaben in Erinnerungen im freien Bericht und/oder in der Beantwortung von offenen und Multiple-Choice-Fragen. Vereinzelt zeigte sich sogar ein leichter Anstieg bei der Anzahl korrekt wiedergegebener Details durch Imagery Rescripting, allerdings blieben die Effekte sehr klein und zwischen den Studien inkonsistent (z. B. Aleksic et al., 2024). Obwohl die Forschung hierzu noch am Anfang steht, zeigen diese ersten Ergebnisse, dass eine Anwendung imaginativer Verfahren auf ein kontinuierlich erinnertes Erlebnis nicht zwangsläufig mit juristisch relevanten Veränderungen von Erinnerungsinhalten einhergehen muss (Schemmel & Volbert, 2021). Eine abschließende Einordnung des gesamten Themenkomplexes scheint indes verfrüht, da weiterhin viele forensisch relevante Fragen offen sind. Diese beziehen sich z. B. auf länger zurückliegende, authentische autobiografische Ereignisse, auf Erinnerungsveränderungen in einem tatsächlichen therapeutischen Kontext, auf möglicherweise differenzielle Veränderungen von Rand- und Kerngeschehen einer Erinnerung oder auch auf die subjektive Plausibilität neuer Details im Rahmen von IRRT (siehe auch Fouché & Fouché, 2017). Zu beachten ist ebenfalls, dass die bislang verwendeten Instruktionen – soweit in den jeweiligen Artikeln nachvollziehbar – keine (suggestiven) Beeinflussungen von außen beinhalteten, wie dies üblicherweise in Untersuchungen zum Missinformationseffekt der Fall ist. Bei den Teilnehmenden lagen keine Vorannahmen bezüglich noch zu rekonstruierender Details vor. Insofern widersprechen diese Untersuchungen denjenigen zum Missinformationseffekt oder zur Entstehung falscher Erinnerungen nicht (siehe oben). Die bereits dargestellten suggestionsförderlichen Faktoren (Annahmen bislang nicht erinnerter Details aufseiten des*der Patient*in und/oder Psychotherapeut*in, Anwendung suggestiver Fragen oder psychotherapeutischer Techniken zur Rekonstruktion dieser Details, unkritische Interpretation neuer Details als erlebnisbasiert) können auch bei kontinuierlichen Erinnerungen gerade in Kombination mit imaginativen Verfahren für Verfälschungen sorgen. Aussageveränderungen Von inhaltlichen Veränderungen der Erinnerungen sind solche Veränderungen abzugrenzen, die die Aussage bzw. die Art und Weise der Darstellung betreffen. Stang und Sachsse (2014) fassen die Einschätzung mancher Jurist*innen so zusammen, dass diesen die Aussagen von therapierten Opferzeug*innen „so glatt, so abgerundet, so frei von Widersprüchen“ erscheinen, dass „atmosphärisch gar nichts mehr [rüberkomme]“ und, was „dem Opfer durch die Tat angetan wurde, […] gar nicht mehr spürbar“ werde (S. 195). In diesem Sinne beeinträchtige eine Psychotherapie die subjektive Überzeugungsbildung juristischer Verfahrensbeteiligter. In der internationalen Literatur ist dies als „emotional victim effect“ bekannt (Ask & Landström, 2010), also die Heranziehung der emotionalen Beteiligung eines*einer Opferzeug*in als Indikator der Glaubhaftigkeit (Nitschke et al., 2019). Aus aussagepsychologischer Perspektive ist die emotionale Beteiligung von Opferzeug*innen während der Aussage jedoch unerheblich, weil sie kein verlässlicher Indikator für die Glaubhaftigkeit ist. Während also Erinnerungsveränderungen die Glaubhaftigkeit von Aussagen tatsächlich beeinträchtigen können, beeinflussen Veränderungen der Aussageweise vor allem subjektive Glaubwürdigkeitszuschreibungen. 3/2024 Psychotherapeutenjournal 237 J. Schemmel

Indes erscheint nachvollziehbar, dass gerade in Aussagegegen-Aussage-Konstellationen möglichst ursprüngliche und authentische Aussagen von Opferzeug*innen in die Verfahren eingeführt werden sollen. Stang und Sachsse (2014) vergleichen Aussagen in diesem Zusammenhang mit einem Tatort, der möglichst unmittelbar nach der Tat und vor einer möglichen Kontamination oder den natürlichen Veränderungen der Spurenlage genauestens dokumentiert wird, und fordern eine ähnliche Haltung gegenüber Aussagen. Diese seien ebenfalls möglichst rasch „so umfassend und umfangreich wie möglich per Tonträger und Video zu sichern“ (S. 195), da sich – zusätzlich zu möglichen externen Einflüssen – Erinnerungen mit der Zeit naturgemäß verändern und Vergessensprozesse einsetzen. Dennoch liegt auf der Hand, dass hier womöglich ein systematischer Konflikt zwischen Psychotherapie und Strafverfahren angelegt ist (Bublitz, 2019). So ist es zumindest mittelfristig das offenkundige Ziel einer Psychotherapie, die emotionale Bewältigung eines Traumas zu verbessern und eben jene psychische Symptomatik abzumildern, die für manche Jurist*innen zentral für die Eindrucksbildung zu sein scheint. In der Praxis kann dieser Konflikt zwar in vielen Fällen prinzipiell vermieden werden, z. B. weil Traumatherapien zunächst teils längere Phasen der Stabilisierung und Psychoedukation umfassen (Schäfer et al., 2019) und immer mehr Staatsanwaltschaften von den in den letzten Jahren deutlich verbesserten Möglichkeiten Gebrauch machen, Betroffene z. B. von Sexualstraftaten bereits zu einem frühen Zeitpunkt richterlich für eine Videoaufzeichnung vernehmen zu lassen (Gropp & Stahlmann-Liebelt, 2021). Dennoch sollte Psychotherapeut*innen bewusst sein, dass das Ziel der Psychotherapie, „Vergangenes Vergangenheit“ (Stang & Sachsse, 2014, S. 196) werden zu lassen, indem Traumata verarbeitet und Aktualisierungen reduziert werden, womöglich dem geäußerten Interesse der Strafverfolgung entgegenstehen und dies in der Psychotherapie oder im Rahmen von Strafverfahren thematisiert werden könnte. Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen für Psychotherapeut*innen Psychotherapie ist besonders dann für die tatsächliche Glaubhaftigkeit von Aussagen problematisch, wenn sie bei Patient*innen ohne bestehende Traumaerinnerung die (falsche) Überzeugung weckt, traumatisiert worden zu sein, und gezielt entsprechende mentale Bilder konstruiert, die fälschlicherweise für Erinnerungen gehalten werden. Analog ist es ebenfalls heikel, wenn auf diese Weise zu Therapiebeginn bereits bestehende Erinnerungen auf der Basis reiner Vermutungen gezielt um weitere Traumata ergänzt werden. Ein solches Vorgehen ist nicht leitliniengerecht und unabhängig von möglichen Strafverfahren unzulässig. Es dürfte sich dabei jedoch um recht spezielle Konstellationen handeln, die insgesamt nur selten vorkommen und selbst dann einen nur kleinen Teil der behandelten Fälle ausmachen. Zu vermeiden sind sie dennoch in jedem Fall (Schemmel et al., 2024; Schemmel & Volbert, 2021). Trotz erster Forschungsarbeiten ist darüber hinaus bislang nicht hinreichend geklärt, inwieweit sich kontinuierliche, also bereits zu Therapiebeginn bestehende Erinnerungen durch traumatherapeutische Bearbeitung verändern. Es ist aber davon auszugehen, dass traumafokussierte Verfahren vor allem dann einen strafrechtlich relevanten Einfluss auf Details einer kontinuierlichen Erinnerung haben können, wenn sie bewusst oder unbewusst in Verbindung mit den genannten suggestiven Bedingungen angewendet werden. Manche Jurist*innen äußern ein Interesse daran, für ihre Überzeugungsbildung einen unmittelbaren Eindruck der emotionalen Folgen einer behaupteten Tat gewinnen zu können. Dies kann mit dem Ziel einer Psychotherapie konfligieren, die emotionale Bewältigung eines Traumas zu unterstützen und eine Symptomreduktion zu erreichen, weil so auch die emotionale Beteiligung während der Aussage eines Opfers reduziert werden könnte. Es obliegt nicht Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten, zu entscheiden, ob Betroffene von Straftaten eine Psychotherapie absolvieren und wie diese ausgestaltet ist. Dies ist auch im Falle eines laufenden oder möglicherweise anstehenden Strafverfahrens eine Entscheidung der Betroffenen und des*der zuständigen Psychotherapeut*in, wobei gesundheitliche Interessen der Patient*innen häufig im Vordergrund stehen dürften (Campbell Swiecicki & Hollingsworth, 2015). Dennoch dürfte in vielen Fällen dabei auch die Frage eine Rolle spielen, ob die Glaubhaftigkeit einer späteren Aussage unter der therapeutischen Intervention leiden könnte. Aus dem hier Referierten ergibt sich, dass Psychotherapie nicht per se problematisch für die Glaubhaftigkeit ist. Es kommt vielmehr darauf an, was genau im Rahmen von Psychotherapien passiert. Psychotherapeutische Maßnahmen, die auf eine Stabilisierung oder den Aufbau von Bewältigungsressourcen für den Alltag abzielen oder ganz generell nicht an der Erinnerung selbst arbeiten, – und damit ein sehr großer Teil der mit traumatisierten Patient*innen praktizierten Psychotherapie – sollten sich so in der Regel aus aussagepsychologischer Perspektive als unproblematisch erweisen, weil sie den Aussageinhalt nicht verändern dürften. Im Rahmen eines Strafverfahrens dürften Psy- Psychotherapeutische Maßnahmen, die auf eine Stabilisierung oder den Ressourcenaufbau gerichtet sind oder ganz generell nicht an der Erinnerung selbst arbeiten, sind aus aussagepsychologischer Sicht in der Regel unproblematisch. 238 Psychotherapeutenjournal 3/2024 Wann gefährdet Psychotherapie die Glaubhaftigkeit in Strafverfahren (und wann nicht)?

chotherapien vor allem dann thematisiert werden, wenn die Erinnerungen an strafrechtlich relevante Handlungen Gegenstand therapeutischer Intervention wurden und damit potenziell verfälscht worden sein könnten. Im Folgenden sollen Maßnahmen vorgeschlagen werden, die Psychotherapeut*innen ergreifen können, um das tatsächliche Risiko relevanter Erinnerungsveränderungen zu minimieren und entsprechenden Befürchtungen von juristischer Seite entgegenzutreten bzw. mit ihnen umgehen zu können. Falsche Erinnerungen und diskontinuierliche Erinnerungsverläufe vermeiden Stellen sich Patient*innen in der Psychotherapie vor, die zunächst von keiner traumatischen Vorgeschichte berichten, müssen solche suggestiven Rahmenbedingungen unbedingt vermieden werden, die die Ausbildung einer vollständigen oder teilweise falschen Erinnerung begünstigen und damit einen gedächtnispsychologisch unplausiblen, diskontinuierlichen Erinnerungsverlauf herstellen können. Das bedeutet im Einzelnen: „ Wenn Psychotherapeut*innen bei einer Patient*in eine traumatische Vorgeschichte vermuten, die bislang aus bestimmten Gründen noch nicht berichtet wurde, sollten sie dies – wenn überhaupt – allenfalls zurückhaltend thematisieren und sich offen danach erkundigen. Dabei sollten sie sich unbedingt der Fehlbarkeit einer solchen Mutmaßung bewusst sein, keine suggestive Erwartungshaltung kommunizieren und eine verneinende Antwort des*der Patient*in in jedem Fall akzeptieren. „ Patient*innen, die ihrerseits vom Vorliegen nicht erinnerlicher Traumata hinter Symptomen ausgehen, sollten nicht unkritisch darin bestärkt werden. Vielmehr sollte diese Vermutung besprochen und ggf. in ihrer Funktion eingeordnet werden, wobei im Zweifel über das Risiko falscher Erinnerungen aufgeklärt werden sollte. Gleiches gilt für äußerst vage Erinnerungsbilder, die als Hinweis auf spezifische Traumata interpretiert werden. „ Psychotherapeut*innen sollten Symptome von Patient*innen nicht mit einem Trauma begründen, das nicht erinnert und auch auf offene Nachfrage nicht berichtet wird. Auch auf anderweitige Spekulationen hinsichtlich vermeintlich verdrängter oder dissoziierter Traumata sollten sie verzichten. „ Keinesfalls sollten Psychotherapeut*innen ihre Patient*innen dazu auffordern oder gar dabei anleiten, nach nur vermuteten Traumaerinnerungen zu suchen. Ein solches Vorgehen ist nicht leitliniengerecht, auch wenn hierfür übliche traumafokussierte Verfahren und Methoden angewendet werden. Diese sind für die Bearbeitung vorliegender kontinuierlicher Erinnerungen vorgesehen und evaluiert. Wenn sie für die Rekonstruktion vermuteter Erinnerungen verwendet werden, können sie falsche Erinnerungen produzieren. „ Wenn Patient*innen über neu aufkommende Erinnerungsbilder berichten, ohne dass ein suggestiver Rahmen in der Psychotherapie vorliegt, ist zunächst zu eruieren, ob diese spontan oder als Ergebnis einer gezielten Suche nach Erinnerungen, welche ja auch außerhalb des engeren Therapiekontexts erfolgen kann, entstanden sind. Insbesondere wenn Letzteres der Fall ist, sollten diese Bilder nicht unkritisch als historische Wahrheiten eingeordnet werden. Sorgfältig davon abzugrenzen sind solche Fälle, in denen nicht vermeintliche Erinnerungen wiederentdeckt, sondern Traumata erstmalig besprochen werden. „ Um die Rekonstruktion einer spontanen Wiedererinnerung zu erleichtern und problematische von unproblematischen Verläufen trennen zu können, sollten Psychotherapeut*innen die genauen Umstände, den Inhalt der Erinnerung, die sonstigen Begleitumstände sowie den weiteren Verlauf zeitnah protokollieren. Veränderungen von kontinuierlichen Erinnerungen vermeiden und genau dokumentieren Stellen sich hingegen Patient*innen mit bereits vorliegenden Traumaerinnerungen vor, ist die Situation prinzipiell eine völlig andere, da diese Erinnerungen nicht durch die noch zu beginnende Psychotherapie induziert worden sein können. Dennoch gibt es auch in dieser Konstellation Maßnahmen, die ergriffen werden können, um das Risiko einer beeinträchtigten Glaubhaftigkeit durch eine Veränderung kontinuierlicher Erinnerungen zu reduzieren. „ Zumindest denkbar ist, dass es sich bei den berichteten Traumaerinnerungen um falsche Erinnerungen handelt, die in einer vorherigen Behandlung oder rein autosuggestiv ausgebildet wurden. Psychotherapeut*innen könnten kurz die Erinnerungsgenese abklären und auf Hinweise auf einen suggestiven Prozess prüfen (z. B. indem sie der Frage nachgehen, ob es sich um kontinuierliche oder diskontinuierliche Erinnerungen handelt bzw. ob die Erinnerung infolge eines vermutungsgeleiteten Suchprozesses entstanden ist). „ Psychotherapeut*innen sollten Patient*innen nicht signalisieren, dass kontinuierlich erinnerte Traumata um weitere traumatische Erlebnisse ergänzt werden müssten, bzw. entsprechende Vermutungen anstellen, z. B. weil das die Symptomatik angeblich nahelege. Auch in diesen Fällen wäre ein suggestives Setting wie das oben beschriebene zu vermeiden. „ Werden die traumatischen Erfahrungen im Rahmen von Psychotherapien außerhalb spezifischer traumafokussierter Interventionen thematisiert, ohne dass sie en détail prozessiert werden, dürfte dies die Erinnerungen kaum mehr beeinflussen als andere Gespräche außerhalb der Therapie. Allerdings gilt auch hier, dass Psychotherapeut*innen sich mit möglicherweise suggestiv wirksamen Deutungen, vor allem wenn sie Vermutungen hinsichtlich eines vermeintlich „eigentlichen“ Geschehens beinhalten, zurückhalten sollten. „ Sollte die Anwendung traumafokussierter Verfahren und Methoden aus fachlicher Perspektive geboten erscheinen 3/2024 Psychotherapeutenjournal 239 J. Schemmel

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